Jean-Jacques Rousseau, muss ich wirklich jeden Tag Zähne putzen?

Jeden Tag das Gleiche: morgens Zähne putzen, abends Zähne putzen, am besten mittags auch noch Zähne putzen. Und das Schlimmste: Es hört nie auf. Wir müssen die Zähne jeden Tag wieder von neuem putzen, immer und immer wieder, unser Leben lang. Muss das wirklich sein? Scheinbar ja, denn die Drohszenarien für Zahnputz-Verweigerer sind bekannt: Zahnschmerzen, die mir das Leben zur Hölle machen, ein gemeiner Zahnarzt, der spitze Instrumente in mein zartes Zahnfleisch bohrt, und ein unappetitliches Lächeln, das mich aus dem Spiegel angrinst. Das Problem ist aber, dass meine Zähne im Moment noch so weiss sind wie in der Zahnpasta-Werbung. Und ich weiss: Das wird sich auch nicht von heute auf morgen ändern. Was also kann es schaden, wenn ich einmal nicht die Zähne putze? Nichts. Aber wenn ich mir das jeden Morgen sage, und jeden Mittag, und jeden Abend, dann wache ich vielleicht doch eines Tages auf und sehe mein Gebiss im Wasserglas auf dem Nachttisch schwimmen. Woher also die Motivation nehmen, täglich zur Bürste zu greifen? Der Genfer Philosoph und Aufklärer Jean-Jacques Rousseau weist den Weg: «Zur konsequenten Befolgung der kleinsten Pflichten ist nicht weniger Kraft erforderlich, als zu Heldentaten.» Ein Ritter des Alltags schwingt also die Zahnbürste und nicht das Schwert. Wem das etwas zu wenig heroisch ist, der hält sich an Karate-Kid und sieht Zähneputzen als Kampfsport-Übung. Einfach beim Schrubben auf ein Bein stehen und das andere anwinkeln. Wer das drei Minuten schafft, hat bereits die erste Stufe zum Kranich-Kick gemeistert.

Urs Siegfried, Initiator und Leiter des Zürcher Philosophie Festivals, hat erst
Geschichte und Betriebswirtschaft studiert, bevor er die Philosophie für sich entdeckte.
Fürs Grosseltern-Magazin beantwortet er jeden Monat eine Kinderfrage.

Bisher erschienene Antworten von Urs Siegfried auf philosophische Kinderfragen:
grosseltern-magazin.ch/category/frage/