Alljährlich im Advent werden Grosseltern dazu angehalten, zurückhaltend mit Geschenken zu sein. Früh sollen Kinder lernen, dem Konsumwahn zu entsagen, der langfristige Müllberge verursacht und kurzfristiges Glück beschert. Zum Leidwesen der Kinder ist das nicht falsch.
Von Karin Dehmer (Text) und Elena Knecht (Illustration)
Kinder werden indirekt bereits zu Konsumenten, bevor sie überhaupt Wünsche formulieren können. Möbel, Kleider, erste Spielsachen: Kündigt sich Nachwuchs an, müssen plötzlich lauter Dinge her, an die man bislang keinen Gedanken verschwendet hat, und ist das glückliche Ereignis schliesslich eingetroffen, geht der Besorgungsrausch erst richtig los. Wehe dem Zeitpunkt, wenn die Kinder lernen, ihren Wünschen Ausdruck zu verleihen. «Quengelkraft» nennt man im Marketing die kindliche Fähigkeit, Erwachsene von einem Kauf zu überzeugen, den diese gar nicht tätigen wollen, und mit der «Quengelzone» ist die unausweichliche Schleuse beim Anstehen an der Kasse gemeint, gespickt mit süssen Verführungen rechts und links.
Konsum ist zu einem zentralen und beiläufigen Element unseres Alltags geworden, in dem selbst Kleinkindern der entsprechende Platz eingeräumt wird.
Schon mancher Eltern- oder Grosselternteil hat sich an dieser Stelle wohl entnervt gewundert, weshalb die Grossverteiler auf diese Stressquelle bestehen? «Erwachsene Kundinnen und Kunden schätzen das Angebot an der Kasse», beantwortet Patrick Stöpper vom Migros-Genossenschaftsbund diese Frage und weist auf die in einigen Filialen eingeführten Familienkassen hin: «Der Kassendurchgang ist breiter, auf einen Süssigkeiten- und Snackaushang wird verzichtet und für die Kinder ist ein Podest errichtet, auf das sie stehen und beim Einpacken helfen können.» Womit wir mitten im Thema wären: Konsum ist zu einem zentralen und beiläufigen Element unseres Alltags geworden, in dem selbst Kleinkindern der entsprechende Platz eingeräumt wird.
Über Geld redet man doch
Wir konsumieren, ohne uns darüber Gedanken zu machen, wie und wo das entsprechende Verhalten eigentlich erlernt wird. Im Klappsitz des Einkaufswagens schieben wir unsere Kinder durch die Welt des Konsumierens und kurz darauf ahmen sie uns am Verkaufsstand im Kinderzimmer nach. Schon mancher Grundschüler hat seine Weihnachtswunschliste anhand der Werbepausen im Fernsehen oder auf YouTube geschrieben. Tatsächlich sind unsere Kinder denn auch ganz ohne Zutun der Erwachsenen ausgesprochen konsumkompetent. Sie kennen Produkte, Preise und Geschäfte. Gemäss Studien können Zehnjährige zwischen 200 und 300 Markennamen unterscheiden. Im Kindesalter stehen diesem Konsumwissen allerdings noch sehr spärliche Kenntnisse über ökonomische Zusammenhänge gegenüber. An diesem Punkt ist es wichtig, mit der Erziehung anzusetzen, altersgerecht versteht sich. Marion Nolde ist Mitherausgeberin des 2014 erschienenen Berichts «Selbstbestimmt oder manipuliert – Kinder und Jugendliche als kompetente Konsumenten» der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ). Sie rät dazu, jüngere Kinder nicht mit ausufernden Erklärungen zu überhäufen: «Man sollte jedoch unbedingt ihre Fragen beantworten, kurz und für das Kind verständlich. Für die Konsumerziehung gilt: Reden ist Gold.» Kinder begreifen vielleicht noch nicht den Unterschied zwischen Bedürfnis und Wunsch, aber dass sich der Opa nach einer überstandenen Operation gern mit einem neuen Gadget belohnen würde, dies aber nicht tut, weil das Alte eben noch gut genug funktioniert oder das Neue sehr teuer ist, kann ein Grundverständnis von Belohnungsaufschub und Selbstkontrolle im Kind fördern.
Öfter laut denken
Mit anderen Worten: Bei Abwägungen über Kaufen oder Nichtkaufen öfter mal laut denken vor den Kindern? «Das erachte ich sogar als äusserst wichtig», bestätigt Gregor Mägerle von der Schuldenprävention der Stadt Zürich diese Vermutung. «Ihrem Alter entsprechend sollen und dürfen Kinder in Kaufentscheide ihrer Eltern oder Grosseltern eingebunden werden. Wie viel kostet eine neue Anschaffung? Unter welchen Voraussetzungen kann man sich diese leisten? Worauf muss die Familie allenfalls dafür verzichten?» Gregor Mägerle findet es schade, dass in der Schweiz in Familien so ungern über Geld gesprochen wird. Oft werden die Kinder über die Vermögenslage der Familie im Dunkeln gelassen. «Um den Kindern trotzdem einen Einblick zu geben, was die Familie sich leisten kann oder nicht, sollte man sie ab und zu raten lassen, was ein Einkauf gekostet hat, bei dem sie einen gerade begleitet haben. Oder statt des Betrags der genauen Einnahmen zu nennen, kann man sie zusammenrechnen lassen, welche Ausgaben die Familie pro Monat hat. So erhalten vor allem ältere Kinder ein Gefühl für realistische Lebenskosten.»
Gerade was Trends in Mode, neue Technologien oder Umweltthemen angeht, können Eltern und Grosseltern hingegen von Kindern relevante Informationen erhalten. Konsum erhält so auch die generationenverbindende Komponente des Informationsaustauschs und des gemeinsamen Einkaufens – beispielsweise wenn der Teenager seinen Opa beim Kauf eines neuen Handys berät und ihm dieses danach auch gleich installieren hilft. Jede einzelne Handlung gibt Anlass, sich über das eigene Konsumverhalten auszutauschen.
Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Einführung von Taschengeld, über das die Kinder frei verfügen können. Ist das Geld weg und ein unerfüllter Wunsch noch da, fällt ab einem gewissen Alter der notwendige Rückschluss leicht. Wobei es beim Taschengeld ganz wichtig ist, einzugrenzen, was damit bezahlt werden muss, sonst gibt es immer wieder Grund zu Diskussionen. Taschengeld und später Jugendlohn sind aber Sache der Eltern und liegen nicht im Verantwortungsbereich der Grosseltern. Umso wichtiger ist es, dass diese die Geschenkekultur der Eltern ihrer Enkelkinder nicht untergraben. «Die wenigsten Eltern sehen es gern, wenn Grosseltern am Geburtstag mit einem riesigen Geschenk für ihr Enkelkind aufwarten, von dem sie nichts wissen», warnt Gregor Mägerle. «Es ist zwar verständlich, dass Grosseltern ihren Enkelkindern Wünsche erfüllen wollen, aber schlussendlich liegt die Entscheidung bei den Eltern, in welchem Umfang ihre Kinder beschenkt werden sollen.» Marion Nolde sieht das etwas anders: «Gewisse Eltern wünschen das so, ja. Aber ich bin der Meinung, Enkelkinder und Grosseltern dürfen auch eine von den Vorstellungen der Eltern losgelöste Beziehung pflegen. Wenn die Grosseltern also zum Geburtstag etwas Bestimmtes schenken wollen, sollen sie das tun dürfen.» Wie in vielen anderen Bereichen sind auch hier ein klärendes Gespräch, Kompromissbereitschaft und ein Verständnis für die jeweiligen Bedürfnisse der Generationen wichtig. Und immer: Die Eltern haben das letzte Wort.
Die Sache mit dem Batzen
Viele Grosseltern stecken beim sonntäglichen Besuch ihren Enkelkindern auch gern einen Fünfliber oder ein Nötli zu. Die Kinder freuts, die Grosseltern auch, die Eltern sind unsicher, was sie von Geldgeschenken halten sollen. «Ohne bestimmten Anlass den Enkelkindern Geld zu schenken, finde ich heikel, denn es kann die Finanzerziehung der Eltern untergraben», bestätigt Gregor Mägerle die mögliche Befangenheit der Eltern. «Besser, sie geben den Batzen den Kindern zu speziellen Anlässen, vor den Ferien, für die Chilbi oder für ein Lager.»
All dieser lobenswerten Pädagogik steht die ökonomische Erschwinglichkeit der heutigen Zeit gegenüber: Noch nie war es einfacher, Kinder zu verwöhnen. «Das ist sicher eine Schwierigkeit», findet auch Marion Nolde, «den Kindern nicht alles zu kaufen, was sie sich wünschen, obwohl man es könnte.» Denn genau diese Erschwinglichkeit sorgt bekanntlich für Unmengen von Müll und ausbeuterischen Herstellungsketten. Ein Zusammenhang, den bereits Zehnjährige nachvollziehen können. «Abgesehen davon,» führt Marion Nolde weiter aus, «müssen Kinder das Konzept des sogenannten Belohnungsaufschubs sowieso lernen. Nicht alles sofort zu kriegen, fördert die Selbstständigkeit. Auch wichtig ist ein gutes Selbstwertgefühl, dessen Grundsteine in der Kindheit gelegt werden. Ein selbstsicherer Jugendlicher braucht keine Markenkleider, um in der Peergruppe bestehen zu können.»
und weihnachten ?
Nun steht Weihnachten vor der Tür und Sie bedanken sich für diesen moralischen Fingerzeig zur Unzeit? Sie haben natürlich recht. Wer dazu rät, Kindern nur ein Geschenk zu machen, und dies auch noch möglichst ein pädagogisch sinnvolles, hat zwar die Argumente auf seiner Seite, aber es ist wie bei fast allem im Leben: Muss denn immer alles sinnvoll sein? Jein.
Unser Vorschlag: Erfüllen Sie Ihrem Enkelkind den Wunsch des Bling-Bling-Plastikspielzeugs statt der naturbelassenen Holzklötze, oder kaufen Sie ihm das teure Legoset, das die Verpackungsgrösse einer neuen Waschmaschine hat. Nehmen Sie sich dann aber auch die Zeit, mit den Kindern auf dem Boden zu sitzen und die geschenkten Sachen gründlich zu bespielen. Vielleicht gibt es dafür beim nächsten Ausflug in den Zoo nicht auch noch das Gürteltier aus Plüsch, beim Bummel durch die Stadt keine Fünf-Franken-Spielsachen und in der Quengelzone bleiben Sie hart und nervenstark. Gregor Mägerle von der Schuldenprävention: «Ich persönlich habe sowieso nichts gegen die Quengelzone, auch wenn meine Kinder dort schon brüllend auf dem Boden gelegen haben. Die Quengelzone ist doch der perfekte Ort, um das Gespräch über Bedürfnisse, Geld und Konsum bereits mit kleinen Kindern zu üben. Darum kommt man als Eltern und Grosseltern sowieso nicht herum.» Und sollten die Kinder die erklärenden Worte der Erwachsenen nicht verstehen, so kapieren sie irgendwann deren konsequente Haltung.•
Konsumsensibel im Alltag mit Kindern
Bei mehreren Kindern im Haushalt lohnen sich auch mal teurere Anschaffungen, wenn diese dafür einige Jahre in Gebrauch sein werden.
Spontane Kinderwünsche unter dem Jahr auf einer Wunschliste sammeln. An Weihnachten oder Geburtstag die Liste mit dem Kind anschauen und entscheiden, was preislich ein angemessener Wunsch wäre und welcher Artikel überhaupt aktuell noch gewünscht wird.
Auf Plattformen wie Tutti und Ricardo gibt es alles, was sich Kinder wünschen, in gebrauchtem, aber gutem Zustand und zu einem fairen Preis.
Kinder stöbern gern in Brockenhäusern und auf Flohmärkten. Lieber an einem solchen Ort mal ein günstiges und kurzfristiges Spielzeug kaufen statt billig produzierte Neuware.
Grundsätzlich: mehr gemeinsame Erlebnisse schenken als materielle Güter.