Otto Siegenthaler geht dieses Mal nur als Zuschauer ans Nordostschweizerische Jodlerfest. Aber seine Enkelin Svenja wird auftreten.
Wer schon einmal an einem Jodlerfest war, weiss, wie gelassen und friedlich die Stimmung jeweils ist. Ein einziges grosses, fröhliches Miteinander. Dabei könnte man fast den Ernst eines solchen Anlasses vergessen. Denn für die Formationen ist dies nicht nur ein Fest, sondern auch ein Wettkampf. Dabei geht es nicht so sehr um eine Rangierung, sondern um die individuelle Beurteilung. Bei den Vorträgen werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nämlich von einer Jury beurteilt und klassifiziert. «Natürlich strebt man ein ‹sehr gut› an», sagt Otto Siegenthaler. Der 79-Jährige hat schon einige Jodlerfeste miterlebt. Seit 1966 lebt der gebürtige Emmentaler in Winterthur, und nun kommt das Nordostschweizerische Jodlerfest, das alle drei Jahre stattfindet, direkt vor seine Haustüre nach Winterthur-Wülflingen. Etwa 4000 Personen machen mit, es werden Vorträge gehalten im Jodeln, Alphornblasen und Fahnenschwingen. 60 000 Besuchende erwarten die Veranstalter an den drei Festtagen. Otto Siegenthaler sang als Jodler bereits in verschiedenen Jodelclubs mit. Er weiss, wie wichtig ein Jodlerfest für die teilnehmenden Formationen ist. Man probt das Lied, das man vortragen möchte, monatelang, damit es dann an jenem Tag perfekt klingt. Klar ist die Enttäuschung gross, wenn es nicht mindestens zu einem «gut» reicht. «Nur mit einem ‹gut› darf man sich beim Eidgenössischen anmelden, das immer im Folgejahr stattfindet», erklärt Otto Siegenthaler.
Heute jodelt Otto Siegenthaler im Jodelchörli Echo vom Irchel in Dättlikon. «Wir geniessen am Jodlerfest hauptsächlich die tollen Vorträge und die spezielle Atmosphäre. Mit nur acht Sängern sind wir ein kleines Chörli», sagt er und scheint es ein wenig zu geniessen, dass er sich nicht mehr diesem Leistungsdruck stellen muss. Zudem hat er so Zeit, am Freitag, 21. Juni, an den Vortrag des Kinderjodelchörlis Wylandsterne zu gehen. Da singt seine Enkelin Svenja mit. Die Elfjährige gehört beim Kinderchörli schon zum alten Eisen. Seit sie vier Jahre alt ist, singt sie mit. Der Grossvater ist an diesem – für eine elfjährige Städterin doch eher ungewöhnlichen – Hobby bestimmt nicht unschuldig. Svenja und ihr älterer Bruder Lars verbrachten von klein auf viel Zeit bei den Grosseltern. Der Opa hat natürlich immer gejodelt. «Und als ihr Bruder dann auch anfing zu jodeln, kam die kleine Svenja jeweils mit an die Proben und an die Jodlerfeste», erzählt die Mutter Susanne Siegenthaler. Ob sie selbst denn auch jodelt? Nein, winkt sie ab. «Ich selbst habe zwar immer viel gesungen, aber nie gejodelt.»
Nachwuchs fehlt nur in der Stadt
In ländlicheren Gegenden haben die Jodelclubs keine Nachwuchsprobleme, aber in den Städten schon. So erstaunt es nicht, dass Lars sein Hobby aufgab, als er in die Pubertät kam, und dass Svenja in ihrer Klasse die Einzige ist, die jodelt. Sie muss ihr Hobby zwar nicht verheimlichen, will aber doch einem möglichen Konflikt aus dem Weg gehen: «Im Kindergarten jodelte ich manchmal, in der Schule aber nicht mehr», sagt die Elfjährige. Sie erwartet, dass ihre Klassenkameraden nicht viel Interesse am Jodeln, den Trachten und dem Fahnenschwingen haben. «Ich bin in der Klasse die Einzige, die nicht zweisprachig aufwächst», erklärt sie. Ob sie denn nie daran gedacht hat, aufzuhören? «Doch. Aber dann haben mich Musiker, die traditionelle Musik und unsere Kultur mit moderner Musik vereinen, wieder motiviert. Bligg mit ‹Legände und Heldä› zum Beispiel, Gölä oder Trauffer, kennen Sie diese Musik?» Svenja kramt ihr Handy hervor und zeigt ein Musikvideo von Trauffer. «Und dann dachte ich auch, wenn das Jodlerfest bei uns in Wülflingen ist, da muss ich doch weitermachen.» Die Siegenthalers sind sehr gespannt auf das Jodlerfest in der Stadt. •
Von Melanie Borter (Text) und Tibor Nad (Fotos)