Schreibst du schon? Oder schnörkelst du noch?
Die Schnürlischrift hat ausgedient. In naher Zukunft werden immer mehr Kantone auf die teilverbundene Basisschrift umstellen. Was ist das für eine Schrift? Und lernen die Schülerinnen und Schüler so überhaupt noch von Hand zu schreiben?
Deutschschweizer Kantone konnten sich 1947 nach einigem Hin und Her durchringen, die Schnürlischrift gemeinsam vorzuschreiben. Die «Schweizer Schulschrift», wie sie korrekterweise heisst, sollte zum einen dem damaligen Schriften-Wirrwarr der Deutschschweizer Kantone Einhalt gebieten und zum anderen leicht lesbar sein. Eine Eigenheit der Schnürlischrift war für damalige Verhältnisse besonders wichtig: Mit Schnörkeln und Schlaufen werden die Buchstaben fast lückenlos verbunden – das fördert den Tintenfluss. Im Zeitalter von Kugelschreiber, Tintenroller und Filzstiften behindern die Schnörkel und Schlaufen aber nur noch. Die Hauptanforderungen an eine heutige Schulschrift: Sie muss schnell schreibbar und dabei doch leserlich sein. «Mir tun die Kinder leid, wenn sie so etwas lernen müssen. Nach dem Schulabschluss schreibt ja keiner mehr so», fand der Grafiker und Kalligraph Hans Eduard Meier nach einem Schulbesuch in seiner Heimatgemeinde Obstalden. Also kreierte er eine neue «zeitgemässe» Schulschrift. So entstand die teilverbundene Basisschrift. Das war bereits 2002, Hans Eduard Meier war damals 80-jährig.
Eine Schrift statt zwei
Was heisst aber teilverbunden? Das heisst, dass nicht zwingend alle Buchstaben eines Wortes miteinander verbunden werden müssen, sondern nur jene, die sich dafür anbieten. So fallen die schwierigen Schnörkel und Schlaufen weg. Eine Neuerung, die die Basisschrift mit sich bringt, ist aber noch viel einschneidender: Die Kinder lernen von Anfang an die Buchstaben, die sie zu einem späteren Zeitpunkt miteinander verbinden. Das bedeutet, dass die Kinder nicht mehr zwei verschiedene Schriften (erst die Steinschrift, dann die Schnürlischrift) lernen müssen, bevor sie ihre eigene Handschrift entwickeln. Die Umstellung auf die Basisschrift bedeutet also auch eine grosse Umstellung des
Schreibunterrichts. Im Lehrplan des Kantons Luzern wurde die Basisschrift bereits vor zehn Jahren als Alternative zum herkömmlichen zweistufigen Schrifterwerb zugelassen. Nach einer wissenschaftlichen Evaluation durch die Pädagogische Hochschule Luzern wurde eine leicht veränderte Version der Basisschrift kantonsweit eingeführt. Die Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz empfahl schliesslich im Oktober 2014 allen einundzwanzig Deutschschweizer Kantonen eine Umstellung auf diese «Luzerner Basisschrift». Sie erwarb die Rechte an der Schrift, nannte sie von nun an «Deutschschweizer Basisschrift» und stellte sie Lehrpersonen, aber auch Verlagen kostenfrei zur Verfügung.
Worte als Ganzes sehen
Natürlich gibt es auch Gegner der Basisschrift. Einer davon ist Erhart von Ammon. Der 61-jährige Vater von zwei Kindern und Grossvater von zwei Enkelkindern hat ursprünglich Medizin studiert, wechselte dann aber in die Kommunikation. Heute ist er Medienberater für digitale Kommunikation und Marketing. Für ihn ist es ein herber Verlust, wenn die Schnürlischrift abgeschafft wird. Ihm geht es um das Grundverständnis der Sprache, das seiner Meinung nach erst über die verbundene Schrift erlernbar ist. «Die Worte sollten als Ganzes gesehen werden und nicht als einzelne Buchstaben. Ich glaube ganz fest, dass man dem jungen Menschen, der anfängt zu schreiben, das noch beibringen muss.» Ausserdem weiss von Ammon: Die Kinder müssen die schwierigere Schnürlischrift länger üben. Damit setzen sie sich automatisch intensiver mit der Sprache auseinander. «Den Weg zur eigenen Handschrift würde ich deshalb nicht so grob vereinfachen. Da bleibt am Ende nur noch die Druckschrift übrig.» Von Ammon ist deshalb der Meinung, die Basisschrift sei ein halbherziger Kompromiss. «Oder glauben Sie, ein Text eines Viertklässlers, der Basisschrift schreibt, wird von der Lehrperson nicht angenommen, wenn die Buchstaben überhaupt nicht verbunden sind?» Was das Erlernen der Schnörkel und Schlaufen angeht, so sieht von Ammon auch hier Vorteile: «Der Weg über die Psychomotorik ist wichtig. Wenn jemand keine fliessenden Bewegungen wie Kreise und Schlaufen aufs Papier bringt, dann ist es umso wichtiger, dass er das üben muss.» Für den Fachmann der Kommunikation gehören die durchgezogene Schnürlischrift in denselben Topf wie das Wertlegen auf Interpunktion und die Rechtschreibung. Er findet, in der Handschrift einer Person erkenne man eine Ordnung und eine Leidenschaft.
Die Handschrift ist wichtig
Die Wichtigkeit der Handschrift wird indes auch von den Befürwortern der Basisschrift festgehalten. «Fakt ist jedoch, dass die Verbreitung der digitalen Medien das Schreibverhalten und den Schreibunterricht vor neue Herausforderungen stellt. Texte werden zunehmend am PC verfasst, die elektronische Kommunikation via E-Mail, SMS oder Chat hat sich etabliert», hält die Arbeitsgruppe Schrift fest. Die fünfköpfige Arbeitsgruppe wurde von der Erziehungsdirektoren-Konferenz eingesetzt, um zu prüfen, ob eine koordinierte Umstellung auf die Basisschrift überhaupt sinnvoll ist. Die Arbeitsgruppe schreibt, «dass für das Schulkind der Erwerb einer leserlichen und geläufigen persönlichen Handschrift eine unverzichtbare Aufgabe für eine erfolgreiche Schulzeit ist.» Und auch sie ist der Meinung: «Die Handschrift ist Ausdruck der Persönlichkeit eines Menschen.» Hans Eduard Meier, der Erfinder der Basisschrift, hatte mit der neuen Schrift denn auch das Ziel, dass dem Schreiben mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Er schreibt im Nachwort seines Schreiblehrmittels: «Leider wird heute das Schreiben ungenügend geübt. Auch die Hand- und Körperhaltung der Schülerinnen und Schüler wird zu wenig beachtet. Hie und da ein Hinweis zur Handschrift, zur Haltung des Körpers und der richtigen Federhaltung kann viel bewirken.» Christian Amsler, der Präsident der Erziehungsdirektoren-Konferenz, beruhigt schliesslich: «Im Lehrplan 21 hat das Lesen und Schreiben einen ganz wichtigen Stellenwert» (siehe Interview). Die Basisschrift soll den Kindern also das Erlernen der Handschrift erleichtern und so die Freude am handschriftlichen Schreiben fördern. Das gelingt laut der anfangs erwähnten Studie der pädagogischen Hochschule Luzern auch: Die Kinder schreiben mit Basisschrift leserlicher und geläufiger als Gleichaltrige mit der Schweizer Schulschrift. Zudem zeigte sich, dass Kinder, welche Basisschrift gelernt hatten, häufiger angaben, dass sie gerne schreiben.
Schnürlischrift ade
Amsler prognostiziert eine relativ rasche und unaufgeregte Umstellung auf die Basisschrift bis ins Jahr 2020. Bis jetzt haben zwei Drittel der einundzwanzig Deutschschweizer Kantone die Einführung bereits geregelt. Viele Kantone stellen diesen Sommer auf die Basisschrift um. Die Schnürlischrift scheint also definitiv dem Untergang geweiht.•
Von Melanie Borter (Text) und Tibor Nad (Fotos)
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«Für viele Kinder ist die Schnürlischrift eine Tortur»
Christian Amsler, der Präsident der Erziehungsdirektoren-Konferenz der Deutschschweiz, erzählt im Interview, was er von Schnörkeln und Schlaufen hält, ob er selbst noch von Hand schreibt und was die Vorteile der Basisschrift sind.
Herr Amsler, finden Sie das Erlernen einer Handschrift überhaupt noch wichtig im Schulunterricht?
Ja, auf jeden Fall. Es ist zwar eine Tatsache, dass Tastaturen, Touchscreens und Computermäuse immer mehr Füllfederhalter, Bleistift und Kugelschreiber aus unserem Leben verdrängen. Die Handschrift kommt uns abhanden. Wir sind aber überzeugt, dass eine persönlich ausgeprägte Handschrift nach wie vor eine wichtige Kulturkompetenz ist und wir in den Schulen auch weiterhin von Hand schreiben wollen. Ganz im Sinne von Pestalozzis Leitsatz: Kopf, Hand, Herz. Ich erachte das Verschwinden der Handschrift nicht als positive Tendenz, denn das Schreiben von Hand hilft uns beim Denken. Computer sind zwar hilfreiche Schreibwerkzeuge. Buchstaben lernt man trotzdem besser, wenn man sie von Hand selbst schreibt.
Ist es nicht so, dass nur mit dem Erlernen der (schwierigen) Schnürlischrift der Handschrift auch genügend Raum und Zeit im Unterricht eingeräumt wird?
Ich sehe das unabhängig von der gewählten Schrift. Wichtig ist, dass man überhaupt schreibt.
Was sagen Sie jenen, die behaupten, die Schnörkel und Schlaufen der Schnürlischrift beeinflussen die Reifung des Gehirnes positiv?
Das ist in meinen Augen eine antiquierte Denkweise. Die Kinder lernen die Buchstaben mit der Steinschrift. Dann wird die Schrift mit der Basisschrift teilverbunden, und so entwickeln die Kinder ihre persönliche Handschrift fürs Leben. Ich halte von Schreiben per se sehr viel, aber sicher nicht von künstlichen Schnörkeln und unnatürlichen Schlaufen.
Müssen die Kinder überhaupt noch zusammenhängend schreiben? Wird in der vierten Klasse ein Text zurückgewiesen, der in Steinschrift geschrieben wird?
Nein, wie immer gehen die Lehrerinnen und Lehrer da pragmatisch vor. Wichtig ist doch, dass die persönliche Handschrift lesbar ist und die Kinder ihre Gedanken mit ihrer persönlichen Schrift gut zu Papier bringen können. Natürlich sind mit der nun abgelösten Schnürlischrift viele Emotionen verbunden. Generationen haben die vollverbundene Schulschrift gelernt. Die traditionelle Schweizer Schulschrift mit den vielen Bögen und Schwüngen, im Volksmund Schnürlischrift genannt, hatte aber primär einen ganz praktischen Grund: Die Schreibfeder und später dann der Füllfederhalter sollten möglichst wenig abgesetzt werden, damit der Tintenfluss optimal war. Heute schreibt niemand mehr mit der Feder, sogar der Fülli wurde vielerorts von Kugelschreibern und Rollstiften abgelöst. Die kunstvollen Schwünge und Bögen haben also ihren praktischen Nutzen eingebüsst.
Die Kinder können die Schnürlischrift auch nicht mehr lesen, wenn sie sie nicht schreiben lernen. Geht damit nicht ein Kulturgut verloren?
Überhaupt nicht. Handschrift ist seit jeher eine sehr individuelle Sache, die eine kann man lesen und die andere nicht. Lesen und Schreiben halte ich für extrem wichtige Kulturgüter, die man ja nicht vernachlässigen darf. Sie haben auch im Lehrplan 21 einen ganz wichtigen Stellenwert. Ich persönlich schreibe immer noch sehr gerne und sehr oft Briefe von Hand. Die Handschrift ist Teil der Persönlichkeit, Teil der Einzigartigkeit eines Menschen. Aber es gibt auch gewisse Realitäten: So setzt zum Beispiel die Wirtschaft nicht mehr auf die Handschrift. Graphologische Gutachten, psychologische Beurteilungen eines potenziellen Mitarbeiters auf Basis seiner Handschrift, wurden bei Konzernen ersetzt durch aufwendige Assessments.
Ist die Basisschrift eine Erleichterung für linkshändige Schülerinnen und Schüler?
Ob Schnürlischrift oder Basisschrift hängt nicht von rechtshändig oder linkshändig ab. Generell kann man sagen: Für viele Kinder ist die Schnürlischrift psychomotorisch eine Tortur, insbesondere das künstliche Verbinden und das seltene Absetzen des Stiftes. Das führt zu sehr unnatürlichen Handbewegungen. Darum kommt die sogenannt teilverbundene Basisschrift den natürlichen Bewegungen der Kinder viel mehr entgegen.
Wo sehen Sie die grössten Vorteile der Basisschrift?
Sie ist viel kindergerechter! Die Basisschrift ist quasi ein guter Kompromiss zwischen Schnürlischrift und der digitalisierten Schrift, an welche die Augen der Kinder je länger je mehr gewöhnt sind.
Die Basisschrift des mittlerweile verstorbenen Grafikers und ehemaligen ETH-Dozenten Eduard Hans Meier nimmt Rücksicht auf den natürlichen Schreibfluss. Bei dieser Schrift werden zwar noch kleine Gruppen von Buchstaben verbunden, aber sie ist viel schlichter als die herkömmliche Schnürlischrift. Die Erfahrungen in den Kantonen, die schon länger damit arbeiten, zeigen deutlich auf, dass die Basisschrift Kindern ermöglicht, schneller und auch leserlicher zu schreiben.
Wie aufwendig ist es, Lehrpersonen auf die Basisschrift umzuschulen?
Das geschieht mit einführenden Weiterbildungen und vor allem auch der Zurverfügungstellung der dazu nötigen Schriftfonts und Lehrmittel. Die Schweizer Basisschrift wird von der Erziehungsdirektoren-Konferenz also auch in digitaler Form zur Verfügung gestellt, sodass die Lehrerinnen und Lehrer auch Arbeitsblätter damit erstellen können.
Wie sieht es in der Westschweiz und im Tessin aus? Welche Schriften werden da gelehrt? Wäre nicht eine gesamtschweizerische Einheit anzustreben?
Im Tessin und in der Romandie sind die entsprechenden Kantone schon seit jeher mit anderen Schulschriften unterwegs. Sie kennen schon viel länger die teilverbundene Schrift. In diesem Sinne sind sie uns voraus. In der Schweiz hat die sprachregionale Koordination Tradition. Damit sind die 21 Deutschschweizer Kantone miteinander aufgerufen, sich abzusprechen. Und dies haben sie gemacht, indem sie sich gemeinschaftlich abgesprochen haben, sukzessive die Schweizerische Basisschrift einzuführen. •
Christian Amsler (FDP) ist Regierungsrat des Kantons Schaffhausen, Vorsteher des Erziehungsdepartements und präsidiert die Erziehungsdirektoren-Konferenz der Deutschschweiz. Damit ist er auch Schirmherr des Lehrplans 21.
Der 52-Jährige ist ausgebildeter Pädagoge und war vor seiner Wahl in den Regierungsrat Prorektor der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen (PHSH). Amsler ist mit einer Lehrerin verheiratet und Vater von drei Kindern.
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Dieser Artikel ist im Grosseltern Magazin 05/2016 erschienen.