Daniel Koch: «Ich gehe sehr positiv durchs Leben»


Zu diesem Interview: «Grosseltern» hat das Bundesamt für Gesundheit Mitte April für ein Interview mit Daniel Koch angefragt. Das Gespräch fand am 22. April per Telefon statt und das BAG hat das ganze Interview anschliessend gegengelesen. Seine Aussage, Grosseltern dürften ihre jüngeren Enkelkinder umarmen, nicht aber hüten, haben wir kurz darauf aus Aktualitätsgründen online geschaltet. Diese Aussage stiess auf grosses Echo und wurde von den Medien im In- und Ausland aufgenommen. Seit dem Interview Mitte April hat sich die Lage bereits wieder geändert und die vom BAG empfohlenen Massnahmen werden der Situation der Pandemie kontinuierlich angepasst. bag.admin.ch


«Ich freue mich darauf, wieder mehr Sport mit den Hunden zu treiben»: Daniel Koch.

Von Geraldine Capaul (Interview)

Daniel Koch, Delegierter des BAG für Covid-19, im Interview mit «Grosseltern » über grosse Verantwortung, seine Familie und das Leben nach der Krise.

Daniel Koch, für viele Schweizer sind Sie die zentrale Figur in dieser Krise, der Fels in der Brandung sozusagen. Sind Sie sich dieser Rolle bewusst?
Daniel Koch: Also gesucht hab ich sie nicht, muss ich sagen (lacht). Aber ich habe es mittlerweile schon vielfach gehört. Deshalb ist es mir durchaus bewusst, dass ich da in eine spezielle Rolle gerutscht bin.

Ist Ihnen wohl damit?
Ja, wohl schon. Ich denke, es gehört zum Beruf, da müssen wir jetzt einfach alle durch.

Sie sind massgeblich bei der Ausarbeitung der Massnahmen im Umgang mit dem Virus involviert. Eine enorme Verantwortung. Wie gehen Sie damit um?
Selbstverständlich fühle ich mich für einige Sachen verantwortlich. Ich nehme diese Verantwortung wahr und will sie sicher nicht abschieben. Aber ich bin natürlich bei Weitem nicht allein. Die grösste Verantwortung trägt der Bundesrat selber. Ich finde, der Bundesrat stellt sich dieser Situation mit sehr viel Bravour. Mein Teil der Verantwortung liegt darin, den Bundesrat zu beraten – aber auch da steckt eine ganze Equipe dahinter. Wir tauschen uns aus und legen fest, wie es weitergehen soll.

Welches war für Sie persönlich die einschneidendste Massnahme? Welche fiel Ihnen am schwersten einzuhalten?
Ich würde nicht sagen schwer zum Einhalten, aber belastend war sicher das Ändern des Soziallebens. Also all diese sozialen Kontakte, bei welchen man sich einschränken muss, dass man sich nicht mehr besuchen kann, dass man sich nicht mehr die Hand geben darf. Das finde ich natürlich nicht nur für mich, sondern für alle sehr ungewohnt und schwierig. Aber für mich ist das alles vielleicht einfacher, weil ich – wie Sie sich vorstellen können – beruflich sehr ausgelastet bin.

Inwiefern macht es das einfacher?
Ich bin nicht zu Hause eingesperrt, es ist mir nie langweilig, sodass ich das Gefühl hätte, es müsste jetzt etwas laufen. Ich bin einfach ständig am Arbeiten, auch ausser Haus. Es ist für mich also teilweise sicher leichter. Aber ich habe sehr viel Verständnis dafür, wenn die Leute unter dem Gefühl leiden, vieles nicht mehr machen zu dürfen, was früher so selbstverständlich war. Das ist schwierig.

Glauben Sie, es bleibt etwas aus dieser Krisenzeit?
So wie es jetzt aussieht, wird in Zukunft einiges nicht mehr so sein wie früher. Weil es einfach nicht mehr so sein kann wie früher. Das alles wird nicht nach einer Saison vorbei sein, das Virus hat sich jetzt im Menschen festgesetzt. Und das wird wie all die grossen Epidemien zu Änderungen führen. Auf der anderen Seite muss man vertrauensvoll sein. Die Menschheit ist noch mit jeder grossen Epidemie zurechtgekommen. Man hat immer Lösungen gefunden, die uns heute gar nicht mehr bewusst sind,
weil sie schon so dazugehören. Die Cholera im 18. Jahrhundert beispielsweise hat dazu geführt, dass man die Bedeutung der Hygiene erkannt hat. Wir denken immer ein wenig kurzfristig. Auch von dieser Epidemie wird es etwas geben, was bleiben wird, was der Menschheit hilft, irgendwann normal damit umzugehen.

Dass man sich zum Beispiel bei Begegnungen anders verhält?
Ja, zum Beispiel. In nächster Zeit wird man sicher weiterhin Distanz wahren. Man wird auch weiterhin aufpassen müssen, dass man sich nicht infiziert. Man wird vermehrt darauf schauen, dass man andere nicht ansteckt. Das bleibt. Und dieses Verhalten wird dazu beitragen, dass diese Krankheit, aber auch andere Krankheiten, weniger übertragen werden.

Das Abstandhalten zu den Enkelkindern ist für viele Grosseltern vermutlich die schmerzhafteste Massnahme.
Hier habe ich gute Nachrichten, also relativ gute … Heute kann man mit recht grosser Sicherheit davon ausgehen, dass Kinder nicht die grossen Überträger sind. Und auch recht selten daran erkranken. Das freut die Grosseltern ja natürlich schon mal, dass sie sich immerhin um die Enkel keine Sorgen machen müssen. Diese Erkenntnis bedeutet aber auch, dass man die Enkelkinder auch wieder einmal in die Arme nehmen darf.

Wirklich?
Ja. Aber man soll sie bitte trotzdem nicht grad wieder hüten. Sehen Sie, das Problem sind eigentlich die Eltern. Sie übertragen in der Regel das Virus, nicht die kleinen Kinder. Gefährdet jedoch sind die Grosseltern. Also darf man die kleinen Kinder wieder einmal umarmen, solange man Abstand zu der mittleren Generation hält.

Dürfen wir auch wieder mit den Grosseltern in den Wald zum Grillieren – mit Abstand?
Hier wird’s schon wieder schwieriger. Selbstverständlich dürfen Sie in den Wald, solange Sie den Abstand wahren. Die Gefahr besteht aber darin, dass man bei gewohnten Sachen – wie dem ungezwungenen Zusammensein – sehr schnell in alte Verhaltensmuster fällt und den Abstand vergisst. Deshalb sagen wir, dass sich die Generationen weiterhin separieren sollen. Die Grosseltern sollen allein spazieren gehen, aber mal den Enkel in den Arm nehmen, das dürfen sie. Da riskieren sie nichts.

Sie sind vor Kurzem Grossvater geworden. Sehen Sie Ihren fünf Monate alten Enkel?
Im Moment selten. Und wenn, dann übers Telefon.

Wie stehen Sie mit Ihrer Familie in Kontakt?
Wir telefonieren regelmässig. Und meine beiden Töchter sehe ich manchmal. Sie müssen mir ein wenig helfen zu Hause, auch mit den Hunden. Obwohl, im Moment sind die Hunde grad wieder im Hundehort. Eine Tochter kommt ab und zu und erledigt einige Arbeiten in meinem Ein-Personen-Haushalt.

Machen Sie sich Sorgen um Ihre Gesundheit und um die Ihrer Liebsten?
Nein, gar nicht.

Weil Sie nicht der Mensch dafür sind, sich auf Vorrat Sorgen zu machen?
Ich gehöre eigentlich zur Risikogruppe, aber noch nicht lange. Deshalb bin ich gar noch nicht richtig in dieser Gruppe angekommen. Was man aber vor allem sagen muss: Mein Infektionsrisiko, also die Chance, dass ich mich anstecke, ist relativ gering, weil ich immer Distanz habe. Ich bin in dieser Hinsicht auch nicht ganz typisch. Denn wenn die Leute mich sehen, kommt ihnen sofort dieses Virus in den Sinn, und deshalb passiert es praktisch nie, dass mir jemand die Hand geben will. So ist es für mich relativ einfach – bei meinem Anblick fällt den Menschen sofort ein, dass sie Distanz halten sollen (lacht).

Ist es denn in Ordnung für Sie, dass Sie so mit dem Corona-Virus in Verbindung gebracht werden?
Ja, das ist jetzt halt einfach so.

Seit Monaten arbeiten Sie sehr viel. Worauf freuen Sie sich nach der
Pensionierung?

Ich freue mich vor allem darauf, ganz grundsätzlich wieder mehr Zeit für mich und für die Familie zu haben. Und dann auch darauf, wieder mehr Sport mit den Hunden zu treiben.

Zurzeit treiben Sie ein wenig Sport und Sie haben Ihre Hunde. Was machen Sie sonst noch zum Abschalten?
Nichts weiter. Ich versuche, möglichst viel zu schlafen. Sonst geht das nicht. Im Moment liegt schlicht nicht viel drin.

Sie kommen also tatsächlich zu genügend Schlaf?
Ja, darauf achte ich.

Haben Sie auch Respekt vor der Pensionierung? Oder wissen Sie jetzt umso mehr, dass Sie diese nur geniessen werden?
Ob ich sie nur geniessen werde, weiss ich nicht, das werden wir dann sehen. Wissen Sie, ich habe in meinem Leben schon so viel geändert, in so vielen Bereichen. In dieser Hinsicht bin ich extrem flexibel. Da mache ich mir keine Sorgen. Ich bin auch nicht jemand, der sein Leben durchplant, ich nehme sehr viel so, wie’s kommt.

Sie haben als Arzt – auch in Kriegsgebieten – schon viel Leid gesehen. Trotzdem wirken Sie so, als ob Sie ans Gute im Menschen glauben.
Oh ja, auf jeden Fall! Ich gehe sehr positiv durchs Leben.

Waren Sie eigentlich schon immer so ausgeglichen?
Ich bin nicht immer nur ausgeglichen. Ich glaube, so nehmen mich die Leute zurzeit einfach wahr. Aber ich bin gleichzeitig sehr fordernd und diskutiere durchaus sehr lebhaft. Es ist nicht so, dass ich nur ruhig und gelassen bin. Ich nehme das alles sehr ernst und bin überaus engagiert.

Werden Sie auch mal wütend?
Ja, das kommt vor. Aber eher selten und sicher nicht gegenüber Leuten, die etwas von mir erwarten, oder wenn ich der Bevölkerung etwas erklären muss. Hier werde ich nicht ungeduldig.

Apropos: Was raten Sie den Über-65-Jährigen für die nächsten Wochen und Monate?
Wichtig ist, dass man sich weiter an diese Empfehlungen hält, dass man darauf achtet, sich nicht anzustecken. Selbstverständlich sollen sie mal rausgehen und die Sonne geniessen. Aber alles andere gilt es, zu vermeiden, auch wenn jetzt wieder die Läden öffnen. So sollten sie vielleicht wirklich nicht grad unbedingt zum Coiffeur gehen. Es lohnt sich, ein wenig zu warten. Denn wenn es so weitergeht, wie es die letzten Wochen gelaufen ist, dann wird das Risiko immer kleiner. Und wenn das Risiko wirklich klein ist, wird alles wieder viel normaler. Schon in ein paar Wochen können wir vieles besser abschätzen.

Und Enkelhüten wird erst wieder zum Thema, wenn eine Impfung da ist?
Nein. Wenn man im Sommer sieht, dass das Risiko auch für die älteren Personen genug klein ist und man die verschiedenen Ansteckungsecken unter Kontrolle hat, dann wird einiges auch für die ältere Bevölkerung möglichst normal sein. Was wir weiterhin sagen werden: Lueget, das mit dem Händeschütteln, das vergessen wir jetzt mal für eine Weile, ebenso wie das nahe Beisammenstehen mit vielen verschiedenen Menschen. Denn wir wollen weiterhin versuchen, uns nicht anzustecken. Aber Sachen, die sehr wichtig sind fürs Leben, wie eben die eigenen Grosskinder zu hüten, sollen dann möglich sein. •


Daniel Koch (65) war bis 2002 für das IKRK tätig, zuerst als medizinischer Koordinator in Krisengebieten, unter anderem während des Bürgerkriegs in Sierra Leone, später als medizinischer Mitarbeiter am Hauptsitz in Genf. Seit 2002 ist er für das BAG in unterschiedlichen Ressorts tätig, von 2008 bis 2020 als Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten». Eigentlich wäre er im April in Pension gegangen. Nun arbeitet er bis zur Bewältigung der Pandemie mit dem Titel «Delegierter des BAG für COVID-19» weiter.

Ein Gedanke zu „Daniel Koch: «Ich gehe sehr positiv durchs Leben»

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