Eigenständig, schweigsam, herzlich: Neue Bilderbücher stellen die Grossmütter ganz unterschiedlich ins Zentrum.
Hans ten Doornkaat (Text)

Illustration: © Guilia Orecchia, «Kaya weiss, was sie will»
«Meine Baba summt und singt Lieder, die ich nicht verstehe.» Das ist wenig und genau dadurch viel. Jordan Scott erzählt in «Der Garten meiner Baba» von seiner Grossmutter, einer geflohenen Polin, die lange schon in Kanada lebt und keine Landessprache beherrscht. Eine ungewöhnliche Geschichte für ein Bilderbuch, doch wer sich darauf einlässt, entdeckt eine eindrückliche Beziehung – und eine wichtige, denn Grossmütter und Enkelkinder kommen in heutigen Gesellschaften sprachlich nicht immer leicht zusammen.
Es geht also nicht drum, den Wandel des Grossmutterbildes zu analysieren, vom Heididörfli bis Suburbia. Schon der Blick auf einige Bücher zeigt eine vielsagende Bandbreite, auch weil die Gestaltungen neue Wege gehen. Daniela Leidig etwa erzählt von einem «Sommer im Waldhaus». Ole und Anuk fahren mit Oma nach Schweden – wobei die Illustratorin erläuterte, dass sie Erlebnisse aus drei Generationen verdichtet. Wälder und Wasser bieten viel und Omas Haushalt ist voll mit Dingen, die es zu Hause nicht gibt. Äusserlich geschieht wenig, das sich als Handlung darstellen lässt, doch zugleich sind da Menschen mit intensiven Wahrnehmungen. Genau das setzt Leidig um: Sie zeichnet Kinder und Grossmutter präzise, die Räume aber löst sie auf und die Zeitdimension weitgehend auch. So kann sie schwebende Stimmungen vermitteln, die zu nachhallenden Eindrücken werden.
Dafür illustrieren die querformatigen Panoramen in «Damals, im Sommer» alles bis ins hinterste Detail. Das Buch porträtiert das Leben in einem chinesischen Bergtal, in Gärten, am Fluss und auf dem Dorfmarkt, doch der anstehende Abschied von der Idylle wird benannt. Es geht also nicht um Grosseltern, sondern um die Landschaft der Herkunft und um Geborgenheit im Überschaubaren. In der vordigitalen Welt sind Zusammenhänge verständlich. Li Xiaoguang inszeniert die Erinnerungsgeschichte von Wei Jie mit grossartigen Holzschnitten; schwarz-weiss, aber mit einer Detailverliebtheit und einer fassbaren Geduld des Handwerks, dass der Blick zurück eine betörend lebendige Präsenz ausstrahlt.
Vom Verlust der Heimat erzählt auch Biljana S. Crvenkovska: Kalas Eltern müssen fliehen. Leider mit gutem Grund sind in letzten Jahren viele Neuerscheinungen über Migration erschienen. In diesem Bilderbuch aus Mazedonien spielen die Grosseltern eine zentrale Rolle, auch wenn sie zu schwach sind für die Flucht. In Gedanken trägt die Enkelin die beiden mit sich. Es sind diese Erinnerungen, die ihr Zuversicht geben. Der Illustrator Vane Kosturanov verwandelt Kalas Gefühle in starke Bilder: Das Haus, das sie hinter sich herzieht, ist ein Flüchtlingszelt auf Rädern. Sie birgt Oma und Opa in ihrem Herzen, und die wiederum tragen sie.
Immigrantin war auch die eingangs erwähnte Baba, die Grossmutter, die ihrem Enkel ohne Worte Gutes tut. Er spürt das! Und so sehen wir eine sparsame Alte, die wenig isst (weil sie früher oft Hunger litt), die ihr Gemüse anpflanzt, die bei Regen Würmer einsammelt und in ihren Garten trägt. Den Blick für das Kleine und Geringgeachtete, den teilen sich Baba und ihr Enkel. Jordan Scott, der vor allem Lyrik schreibt, erzählt in knappen, aber sensiblen Sätzen. Sydney Smith – einer der ganz grossen Bilderbuchkünstler unserer Zeit – malt einerseits Impressionen, unscharfe, selten ausgeleuchtete Szenen, in denen aber Lampen und Streiflicht vieles formen. Und andererseits zeigt er die wortlose Beziehung der beiden mit Panels, die uns miterleben lassen, wie sie einander anschauen oder zusammen etwas beobachten. Sie leben ganz im Jetzt, aber wir als Erwachsene spüren, wie prägend diese Zusammensein für das spätere Leben des Enkels sein wird.
Ganz anders tritt Oma Tinka auf: als moderne Grossmutter, die mit ihrer Freundin, Grossmutter Miri genannt, zusammenwohnt. Und darum geht es in «Kaya weiss, was sie will». Wie auch immer die Erwachsenen leben und sich organisieren, sie kümmern sich um das Kind, sie sprechen sich ab, damit es umsorgt ist. Die Berlinerin Heike Brandt erzählt sachlich und ungemein sympathisch vom Kinderalltag heute. Und die Mailänder Illustratorin Giulia Orecchia unterteilt die vielen Episoden so gekonnt in kleine Szenen, dass man Kindern wie aus einem Bilderbuch vorlesen kann, das sie sich später entlang der Bilder auch allein erzählen können. Respekt für Kinder und die Autonomie Kayas sind ein Kernthema aller Geschichten. Und die Buchgestaltung unterstützt genau dies. •
Ab 5 Jahren: Der Garten meiner Baba. Jordan Scott (Text), Sidney Smith (Illustration), Bernadette Ott (Übersetzung), Aladin 2023. 40 Seiten, ca. 27 Franken.
Ab 5 Jahren: Sommer im Waldhaus. Daniela Leidig (Text und Illustration), Carl Auer Kids 2023. 44 Seiten, ca. 33 Franken.
Ab 5 Jahren: Damals, im Sommer. Wei Jie(Text), Li Xiaoguang (Illustration). Brigitte Koller Abdi (Übersetzung) Baobab Books 2023. 40 Seiten, ca. 27 Franken.
Ab 5 Jahren: Zuhause – Eine Geschichte über das Verlieren und Finden von Heimat. Biljana S. Crvenkovska (Text), Vane Kosturanov (Illustration), Cornelia Marks (Übersetzung), Dragonfly 2022. 48 Seiten, ca. 24 Franken.
Ab 3 Jahren: Kaya weiss, was sie will. Neun Geschichten zum Vorlesen. Heike Brandt (Text), Giulia Orecchia (Illu), Moritz 2023. 128 Seiten, ca. 27 Franken.