Geraldine Capaul (aufgezeichnet)
Sie hatten kaum materielle Güter, aber sie waren reich an Liebe. Sagt Nikol Camenzind von den «Schwiizergoofen» über ihre Grosseltern, die auch viele ihrer Liedtexte beeinflusst haben.
Noch heute höre ich das Knirschen der Kieselsteine, wenn meine Grossmutter morgens um vier an unserem Schlafzimmer vorbei zum Stall ging, um die Ziegen zu melken. Ich weiss, wie die Mandarinen frisch vom Baum schmeckten, spüre die Wärme des Ofens in Zagreb zu Weihnachten, hab das Ticken der alten Kuckucksuhr im Ohr und ich sehe die stahlblauen Augen meines Grossvaters vor mir. Meine Grosseltern sind zwar mittlerweile leider alle gestorben, aber sie sind präsent. Ich denke sehr oft an sie und dann spüre ich sie wieder ganz nah bei mir.
Ich habe all meine Ferien bei meinen Grosseltern in Kroatien verbracht, die Sommerferien im Süden bei Baka Matija und Deda Andjelko, den Eltern meiner Mutter, alle anderen bei Baka Ana in Zagreb, der Mutter meines Vaters. Der Grossvater väterlicherseits ist leider vor meiner Geburt gestorben.
Meine Grosseltern lebten in bescheidenen Verhältnissen, sie waren grösstenteils Selbstversorger. Das war viel Arbeit, körperlich anstrengend. Ich erinnere mich an diese gezeichneten Hände, die gleichzeitig die sanftesten waren. Wir Enkel halfen ihnen gern, haben Pflanzen gegossen, die Tiere versorgt und die Gärten umgegraben – in Zagreb hatte ich sogar meine eigene kleine Schaufel. Ich war immer draussen, kletterte auf das Stalldach, erfand Abenteuer mit den Tieren, dem lustigen Hahn in Zagreb, im Süden mit den Ziegen, zog am steinernen Ziehbrunnen bei Baka Ana Wasser hoch, sass auf der Gartenmauer und mahlte auf der alten Kaffeemühle in Trpanj den Kaffee. Die ersten Feigen aus dem Garten von Baka Matija waren kurz vor dem Ende meiner Ferien reif. Die anderen Kinder hatten jeweils noch länger Ferien. Deshalb hat Baka Matija die Feigen für mich versteckt, ich durfte sie allein essen. Ich weiss noch genau, wie wunderbar diese Feigen waren.
Es waren unbeschwerte Wochen mit den schönsten Gefühlen und maximalen Freiheiten. Einmal nahm ich meinen neuen Supernintendo mit in die Sommerferien. Mit grosser Mühe hatten meine Cousins und ich das Gerät im Keller der Grosseltern installiert und waren am Gamen, als meine Grossmutter reinmarschierte, den Stecker zog und sagte: Ab nach draussen mit euch! Immer sonntags besuchten wir mit Baka Matija den Gottesdienst. Wir schritten alle zusammen über einen staubigen Weg durch die Felder zur Kirche – meine Grossmutter war so stolz auf uns. Alle Grosseltern waren stolz auf uns und das zeigten sie uns auch. Ihre sanften Blicke, ihr Lachen und ihre Umarmungen werde ich nie vergessen.
Der Abschied von beiden Orten fiel mir jedes Mal unglaublich schwer. Ich spüre noch das Gefühl, wenn wir auf die Fähre gingen, um Trpanj zu verlassen. Und ich sehe das schmiedeiserne Tor in Zagreb vor mir. Wie wir da durchfuhren, ich hinten im Auto, Baka Ana im Hauseingang, wie wir einander mit dem kleinen Finger zuwinkten. Das war unser Abschiedsgruss. Kurz vor ihrem Tod hat sie meinem Vater die zwei Babybüsis ihrer Katze für mich mitgegeben. Mein Vater hat sie mir in einem Karton mit den Worten übergeben: «Baka Ana schickt dir das.» Die Freude, als ich die beiden Katzen sah … Die Tierliebe habe ich bestimmt von meinen Grosseltern.
Sie haben mich auch sonst auf vielen Ebenen geprägt. Was ich dank ihnen fühlen durfte, die Erinnerungen, die ich sammeln konnte – das macht für mich eine glückliche Kindheit aus. Alle drei haben meine Texte für «Schwiizergoofe» beeinflusst und mich massgeblich zu der Hörspielreihe inspiriert. Das Lied «Das alte Huus» ist ihnen gewidmet. Mit meinen Grosseltern assoziiere ich den Begriff pure Liebe, die spüre ich fest. Und meine drei Kinder dürfen nun solche Liebe von ihren Grosseltern erfahren.
Übrigens, ich weiss noch, wie diese eine Ziege im Süden Kroatiens hiess: Schuscha. Baka Matija war überzeugt, dass es nichts besseres, nichts Gesünderes als ihre frisch gemolkene Milch gibt. Mit Belohnungsaussichten versuchte sie jeden Morgen, uns zu einem Glas dieser goldenen Milch zu überreden. Immer erfolglos. Aber sie gab nicht auf – einfach, weil sie, wie auch Deda Andjelko und Baka Ana, immer nur das Beste und Liebste für ihre Enkel wünschte.•
Ihren Grosseltern gewidmet: «Das alte Huus» von den Schwiizergoofen auf https://schwiizergoofe.ch/content/dasaltehuus-42