Dossier übers Teilen


Eines für alle

Den Apfel, das Spielzeug, die Wohnung, sein Wissen oder die eigene Geschichte: Teilen kann man ganz vieles. Aber wie lernen Kinder teilen? Und wie schaffen wir es, weniger zu verbrauchen und mehr gemeinsam zu nutzen?

Von Ana Laura Edelhoff (Text)
und Irene Meier (Illustration)

Wenn man Kindern sagt: «Hier habt ihr einen Geburtstagskuchen und hier sind vier Kinder. Wie würdet ihr ihn aufteilen?», dann haben Kinder oft ganz ausgeklügelte und kluge Vorschläge. Die meisten Kinder teilen nach Ideen ein, die heute unsere Staats- und Steuersysteme leiten: Gleichheit, Bedarf und Leistung. Man kann den Kuchen in vier gleiche Teile schneiden und jedem Kind etwas geben. Man kann den Hunger berücksichtigen und denjenigen mit grösserem Hunger ein grösseres Stück geben. Man kann auch dem Kind, das den Kuchen gebacken hat, das grösste Stück geben. Das Schöne daran, mit Kindern über Gerechtigkeit zu diskutieren, ist, dass sie Ideen und Argumenten noch ganz offen gegenüberstehen. Wenn es Gegenargumente gibt, beharren Kinder weder darauf, dass der Kuchen auf jeden Fall gleich verteilt werden sollte, noch sind sie fest davon überzeugt, dass nur nach Bedarf oder nur nach Leistung aufgeteilt werden soll. Meistens entwickeln sie Aufteilungen des Kuchens, die mehrere Ideen kombinieren: Die eine Hälfte sollte gleich aufgeteilt werden, die andere nach Bedarf. Oder: Erst sollen die sich satt essen, die Hunger haben, und dann erhalten diejenigen, die den Kuchen gebacken haben, den Rest.

Knappheit ist relativ

Aber: Wie schätzen Kinder heute eigentlich ein, wie viel sie haben, und ist Teilen für sie schwieriger oder einfacher geworden als noch für frühere Generationen, weil sie so viel mehr haben?
Wie viel man hat und wie viel man haben möchte, hängt vom Kontext ab. Man versteht Knappheit immer im Verhältnis zu anderen. Heute haben die meisten Kinder, die in der Schweiz aufwachsen, viel mehr an Spielzeug, Büchern und Essen, als ihre Eltern und auch Grosseltern jemals hatten. Manche Grosseltern und besonders Urgrosseltern haben noch direkt die Entbehrungen des Zweiten Weltkrieges erlebt. So ein Mangel ist für die meisten Kinder, die heute in der Schweiz leben, völlig unvorstellbar.
Hingegen vergleichen sich Kinder von heute schon früh mit Kindern aus der ganzen Welt. Nur selten werden ihnen dabei auch die Entbehrungen gezeigt, die viele Kinder weltweit erleiden müssen. Nach Angaben der Welthungerhilfe sind 150 Millionen Kinder dauerhaft unterernährt. 3 Millionen Kinder sterben jährlich, weil sie nicht genug zu essen haben.
Vielen Schweizer Kindern aber wird in der digitalen Welt des Fernsehers und des Handys, in Social-Media-Beiträgen und in Apps eher gezeigt, was sie (noch) nicht haben. Grössere und schönere Zimmer, schicke und teure Kleidung, neue und angesagte elektronische Geräte. Dadurch entsteht das erstaunliche Phänomen, dass Kinder heutzutage ein grösseres Gefühl des Mangels und der Knappheit entwickeln können als noch ihre Eltern und Grosseltern. Sie vergleichen sich durch die modernen Medien mit Millionen Kindern aus der ganzen Welt, die andere, begehrenswerte Dinge haben. Ein Wettlauf, den die Kinder nur verlieren können.
Gerade deshalb kann das Teilen der eigenen Geschichte der Grosseltern für Kinder ein Gewinn sein. Zu zeigen, dass man auch weniger haben kann und trotzdem glücklich aufgewachsen ist, kann ein wichtiges Korrektiv sein. Kinder lernen dadurch, wichtige Fragen zu stellen: Worin liegt eigentlich ein glückliches Leben? Was ist mir wirklich wichtig? Der Blick in die eigene Lebensgeschichte kann so auch für die Enkel erhellend sein: «Als ich so jung war wie du, da wollte ich auch das grössere Auto haben, die schöne Uhr, den grossen Fernseher. Nur, um dann irgendwann und vielleicht viel zu spät festzustellen, dass ich nie glücklicher gewesen bin als beim Angeln mit meinem besten Freund unten am Fluss.»

Wer Freude teilt, hat mehr davon

Durch die ehrlichen Erzählungen unserer eigenen Lebenswege mit ihren Hoffnungen und Enttäuschungen laden wir Kinder ein, schon früh zu lernen, dass die Erfüllung auch der verrücktesten und grössten materiellen Wünsche nicht immer glücklich macht: Was nützt mir der coolste Sportschuh, wenn ich keinen Freund habe, der mit mir laufen geht und sich dabei ehrlich mit mir freut?•

Dr. Ana Laura Edelhoff forscht und lehrt an den Universitäten Luzern und Konstanz zu Kinderrechten und stellt in ihrem Blog 1001kinderbuch.ch
regelmässig Literatur und Philosophie für Kinder vor.


Teilprojekte, die uns inspirieren

Elderli heisst ein Programm in der Region Lausanne, in dem
Senior:innen ihr Haus oder ihre Wohnung mit einem jüngeren Menschen unter 30 Jahren teilen.

Die meisten älteren Menschen möchten so lange wie möglich im eigenen Zuhause leben – aber dieses wird oft zu gross. Warum also nicht teilen? Hier setzt Elderli an, ein Programm für unterstütztes generationenübergreifendes Wohnen in der Westschweiz. Die Idee entstand im Rahmen einer Masterarbeit. Bisher werden 22 Paare begleitet, zehn neue Wohngemeinschaften sind am Entstehen. Damit diese gut zusammenpassen, begleiten Fachleute aus der Sozialen Arbeit jede Vermittlung. Das Wohnen erfolgt im Austausch für Hilfeleistungen der jüngeren an die ältere Generation, etwa Einkaufen, Kochen, Putzen, Büro- oder Gartenarbeit. Eine Vereinbarung regelt die Details. Die Wohn-Tandems erhalten durch Elderli ausserdem eine administrative und finanzielle Verwaltung. «Unsere Ergebnisse sind positiv», sagt Gründer Kevin Kempter. «Doch das Zusammenleben junger und älterer Menschen ist eine grosse Herausforderung; wir müssen auf viele Aspekte achten wie individuelle Geschwindigkeit, Wünsche und Gewohnheiten.» ~amo

elderli.ch

PUMPIPUMPE verkauft Sticker, die man auf den Briefkasten klebt und damit anzeigt, welche
Gegenstände man auszuleihen hat.

Sich etwas von der Nachbarin zu «pumpen», ist eine beliebte Form des Teilens. Doch wenn es über die vergessenen Eier für den Kuchen hinausgehen soll, stellt sich die Frage: Wie weiss ich, wer in meiner Nähe etwas besitzt, das ich gebrauchen könnte? Die Antwort liefert Pumpipumpe. Der Verein hat nach eigenen Angaben schon über 20 000 Haushalte europaweit mit seinen Stickers versorgt. Für 7 Franken erhält man 50 Sticker von verschiedenen Gegenständen, die man auf den Briefkasten klebt und damit den Nachbarn anzeigt, was man gerne mit ihnen teilt. Zum Beispiel ein Lastenvelo, eine Nähmaschine oder ein Zelt fürs Gartenfest. Es gibt auch eine Online-Community, doch das Ziel von Pumpipumpe ist vor allem, ein reales Netzwerk in der Nachbarschaft zu aktivieren. ~amo

pumpipumpe.ch

Gebana importiert Fairtrade-­Lebensmittel und betrachtet Teilen als Werkzeug, um den globalen Handel gerechter zu machen.

Warum sollten Bananen billiger sein als Äpfel? Das fragte sich Anfang der 1970er-Jahre eine Gruppe von Frauen im Thurgau – und kämpfte gegen die Ausbeutung der Bananen-Arbeiterinnen auf den Plantagen Lateinamerikas. Dieses Engagement war der Grundstein für die heutige Gebana AG in Zürich. Um mit Bauernfamilien im globalen Süden gerechter zu wirtschaften, beteiligt Gebana diese an den Erlösen aus dem Onlineshop. Die Bauernfamilien erhalten bedingungslos 10 Prozent des Umsatzes ihres Produkts. «Teilen ist gleichzeitig ein radikaler Systemwechsel und wirtschaftsfreundlich», heisst es auf der Website. Auch als Kundin wird man zum Teilen angeregt: Gebana verkauft grosse Packungen, ein mitgelieferter Papierbeutel hilft beim Teilen. ~amo


« Kleinkinder mit Geschwistern teilen häufiger als Einzelkinder »

Schon ganz junge Kinder teilen: Sie schauen es sich bei den Grossen ab. Entwicklungspsychologin Natascha Helbling erklärt, was sonst noch zum Teilenlernen gehört.

Natascha Helbling forscht als Doktorandin an der Universität Zürich zur Entwicklungspsychologie im Säuglings- und Kindesalter. Das Institut hat auch die App «Kleine Weltentdecker» entwickelt, ein smartphonebasiertes Entwicklungstagebuch für Eltern von Kindern im Alter von 0 bis 6 Jahren.
weltentdeckerapp.ch

Grosseltern-Magazin: Wie lernen Kinder zu teilen? Kann man einem 2-Jährigen schon sagen, es  soll sein Schüfeli im Sandkasten auch mal einem anderen Kind geben?

Natascha Helbling: Kinder zeigen bereits früh prosoziales Verhalten, zu welchem auch das Teilen gehört. Studien in der Entwicklungspsychologie legen nahe, dass bereits 12- und 18-monatige Kinder Spielzeug und Gegenstände mit ihren Eltern teilen, dies aber nicht konsequent tun (Hay, 1979). Ob Kinder teilen, hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem, ob das Kind den Wunsch des Interkationspartners (z.B. des anderen Kindes) erkennt oder wie viel es selbst beim Teilen verliert (Brownell, Iesue, et al., 2013). Gerade der zweite Punkt macht das Teilen schwierig, da es im Gegensatz zu anderen prosozialen Verhaltensweisen, wie dem Helfen, oft bedeutet, dass die Kinder selbst etwas “verlieren”, das sie schätzen, oder dass sie weniger Ressourcen erhalten.

Im Laufe des zweiten Lebensjahres lernen Kinder auch vermehrt mit anderen zu kooperieren, indem sie ihre Aktionen koordinieren um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Dies hat ebenfalls einen Einfluss auf das Teilen, denn um Kooperationen aufrecht zu erhalten, müssen Kinder oft lernen Ressourcen, welche dadurch generiert werden, zu teilen, entweder durch eine faire Aufteilung oder dadurch, dass man sich in der Nutzung der Ressource abwechselt (Melis et al., 2016). Nach kollaborativen Aufgaben sind 2- bis 3-jährige Kinder auch eher bereit eine Belohnung zu teilen, wenn diese unausgeglichen vergeben wurden. Im Vergleich dazu teilen sie seltener, wenn sie die Ressourcen einfach so erhalten und dann gefragt werden, ob sie mit einem zweiten anwesenden Kind teilen möchten (Ulber & Tomasello, 2020).

Auch wenn zweijährige Kinder das Teilen noch nicht konsequent beherrschen, bedeutet das nicht, dass man das Thema nicht ansprechen kann. Bereits in diesem Alter kann man mit Kindern darüber sprechen, dass auch andere Kinder gerne mit dem Spielzeug spielen möchten. Dabei kann es hilfreich sein, über Emotionen zu sprechen, die das Kind selbst oder andere Kinder in bestimmten Situationen fühlen, zum Beispiel wenn nicht geteilt wird. Verbalisierung von Emotionen durch Bezugspersonen kann dazu führen, dass Kinder schneller und mit weniger Aufforderungen teilen (Brownell, Svetlova, et al., 2013). Viele zweijährige verstehen bereits das Konzept des Turn-Takings, also dass jeder einmal an der Reihe ist. Diese Fähigkeit ist nicht nur beim Spielen wichtig, sondern auch in anderen Situationen, wie zum Beispiel bei Gesprächen, bei denen sich beide Gesprächspartner abwechseln und aufeinander eingehen (Engdahl, 2011). Eine Möglichkeit, einem zweijährigen Kind das Teilen näherzubringen, besteht darin, zu erklären, dass jeder einmal an der Reihe ist und gleichzeitig zu versichern, dass das Spielzeug dann auch wieder zurückkommt. Dies kann man auch mit klaren zeitlichen Angaben machen.

Eltern, Grosseltern und ältere Geschwister haben zudem eine wichtige Vorbildfunktion. Kinder imitieren bereits im ersten Lebensjahr das Verhalten ihrer Bezugspersonen und lernen soziale Regeln und Normen durch Beobachtung und Nachahmung (Over, 2020; Zmyj & Seehagen, 2013). Manchmal müssen diese Verhaltensweisen nicht einmal explizit erklärt werden, da Kinder neue Objekte oft auf die gleiche Weise nutzen wie ihre erwachsenen Vorbilder.


Grosseltern-Magazin: Wann und unter welchen (emotionalen, kognitiven) Voraussetzungen entwickeln Kinder Gerechtigkeitsempfinden?

Natascha Helbling: Die Frage ist eng verknüpft mit der vorherigen, weshalb einige Voraussetzungen bereits angesprochen wurden. Ein grundlegendes Verständnis von Emotionen sowie die Fähigkeit, die Perspektive anderer einzunehmen, sind dabei von Bedeutung, sowohl beim Teilen (Vonk et al., 2020) als auch auch für die Entwicklung eines Gerechtigkeitsempfindens (Takagishi et al., 2010). Ein Fachbegriff, der oft verwendet wird, um diese Fähigkeit zu beschreiben, ist die “Theory of Mind”. Dies beinhaltet die Fähigkeit, anderen Menschen mentale Zustände zuzuschreiben und zu erkennen, dass diese sich von den eigenen unterscheiden können, wie zum Beispiel die Emotionen oder das Wissen einer anderen Person im Vergleich zu den eigenen.

Allgemein ist die Entwicklung eines Fairness- oder Gerechtigkeitsempfinden ein sehr komplexes Thema, das auch stark vom Kontext abhängt. Studien, insbesondere mit Kindern im Alter von 2 bis 7 Jahren, zeigen oft gemischte Ergebnisse. Obwohl Kinder bereits im Alter von 3 Jahren Prinzipien der Fairness verstehen können, äussert sich dies nicht immer in ihrem Verhalten (Blake et al., 2014; Li et al., 2016). Besonders bei der Verteilung zwischen sich selbst und anderen zeigen jüngere Kinder oft eine Präferenz dafür, sich selbst mehr zu geben. Dies gilt jedoch nicht unbedingt für kollaborative Situationen, wie oben bereits erwähnt.

Etwa ab dem Alter von 8 Jahren ändert sich das Verhalten der Kinder deutlich. Während jüngere Kinder in Studien noch vorteilhafte Angebote akzeptierten, selbst wenn sie unfair waren, lehnten 8-jährige Kinder diese unfairen Verteilungen häufiger ab, auch wenn sie dadurch mehr erhalten würden. Gründe dafür könnten sein, dass Kinder in diesem Alter Fairness internalisiert haben und als obligatorisch betrachten, oder dass sie sich fair verhalten möchten, um ihre soziale Reputation zu stärken (Blake et al., 2014). Gleichzeitig berücksichtigen Kinder auch vermehrt andere Punkte beim Teilen, wie zum Beispiel, wie dringend eine Ressource benötigt wird und wie viel dazu beigetragen wurde diese zu erhalten (Rizzo et al., 2016).

Das Kinder bereits ein Empfinden dafür haben, was gerecht ist und was nicht, zeigt sich auch bei Aufgaben, bei denen sie Ressourcen zwischen anderen Personen verteilen müssen, wobei sie selbst ausgeschlossen sind. Dort zeigen Kinder schon mit 3 Jahren, dass sie fair zwischen zwei Freunden aufteilen (Li et al., 2016). Das haben wir auch bei eigenen Studien oft so erlebt. In Ressourcenverteilungsaufgaben, bei denen Kinder eine gerade Anzahl von Ressourcen an andere verteilen mussten, zeigte sich oft eine gleichmässige Aufteilung, manchmal sogar wenn ein Empfänger als weniger sympathisch wahrgenommen wurde.


Grosseltern-Magazin: Ist Teilen für Geschwister einfacher als für Einzelkinder – oder gerade nicht?

Natascha Helbling: Ob Teilen für Kinder mit Geschwistern “einfacher” ist, ist schwierig zu beantworten. Es gibt jedoch Studien, die darauf hinweisen, dass Kinder mit Geschwistern im Alter von 3 bis 4 Jahren häufiger teilen als Einzelkinder (Lin et al., 2023) und sie erwarten eher, dass andere trauriger sind, wenn nicht geteilt wird (Xiao et al., 2022). Ausserdem teilen Kinder, die bereits im Alter von 3 Jahren häufiger mit ihren Geschwistern teilen, später auch häufiger mit unbekannten Gleichaltrigen (White et al., 2014).

Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass Kinder mit Geschwistern häufiger und früher in Situationen kommen, in denen sie teilen müssen. Dadurch lernen sie, wie sie sich in ähnlichen sozialen Situationen mit anderen Kindern verhalten sollen (Blake, 2018; Lin et al., 2023). Zudem erwerben sie wichtige Kompetenzen wie den Umgang mit Konflikten oder Verhandlungstaktiken beim Teilen von Spielzeug (Hughes et al., 2018). Wie oben angesprochen hat auch die Vorbildfunktion von Bezugspersonen und älteren Geschwistern einen wichtigen Einfluss. Wenn ältere Geschwister mehr teilen, schauen sich die jüngeren Geschwister dies auch ab.

Einzelkinder können zwar ähnliche Erfahrungen mit Gleichaltrigen und Freunden machen, jedoch oft später als Geschwister, die bereits frühzeitig mit solchen Situationen konfrontiert sind.


Grosseltern-Magazin: Im Vergleich zu früheren Generationen: Ist Teilen schwieriger geworden, weil man heute so viel hat?

Natascha Helbling: Ich wüsste gerade von keinen Studien, die den Vergleich zwischen früheren und heutigen Generationen in Bezug auf das Teilen untersuchen. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass die Entwicklung von Fairness sich zwischen Kulturen unterscheidet (Blake et al., 2015). Dabei zeigte sich, dass Kinder in allen Kulturen es nicht mögen, wenn sie selbst benachteiligt wurden bei einer Ressourcenverteilungsaufgabe. Im Gegensatz dazu wurde die Abneigung gegen vorteilhafte Ungleichheit (das bedeutet das Kind selbst würde mehr erhalten als der Interaktionspartner) nur bei drei Kulturen gefunden und trat auch erst später in der Kindheit auf. Ein möglicher Erklärungsansatz dafür war, dass Eltern in diesen Kulturen eher Werte schätzen, für welche die Reputation und soziale Stellung wichtig sind, so zum Beispiel Unabhängigkeit und Autonomie. Ausserdem erwähnen die Autoren, dass es eine Rolle spielen könnte, wie stark und weitläufig der Handel und Austausch von Dingen in der Gesellschaft ist. Gesellschaften mit weit verbreiteten Markinteraktionen scheinen stärkeren Wert auf Normen zu legen, welche auf die gleichmässige Verteilung von Ressourcen abzielen (Blake et al., 2015). Somit könnte das faire Teilen für Kinder, welche in einer Gesellschaft mit vielen Ressourcen aufwachsen, einfacher sein, weil sie die soziale Norm bereits stärker verinnerlicht haben.

Am Ende spielen wahrscheinlich ganz unterschiedliche Aspekte eine Rolle. Nicht nur die Verfügbarkeit von Ressourcen, sondern auch soziale Dynamiken, in welchen wir aufgewachsen sind und auch der persönliche Wert, den wir einem Gegenstand beimessen (z.B. einem Lieblingsspielzeug, Gelman & Davidson, 2016).

Referenzen:
Blake, P. R. (2018). Giving what one should: Explanations for the knowledge-behavior gap for altruistic giving. Current Opinion in Psychology, 20, 1-5.
Brownell, C. A., Iesue, S. S., Nichols, S. R., & Svetlova, M. (2013). Mine or yours? Development of sharing in toddlers in relation to ownership understanding. Child development, 84(3), 906-920.
Blake, P. R., McAuliffe, K., Corbit, J., Callaghan, T. C., Barry, O., Bowie, A., … & Warneken, F. (2015). The ontogeny of fairness in seven societies. Nature, 528(7581), 258-261.
Blake, P. R., McAuliffe, K., & Warneken, F. (2014). The developmental origins of fairness: The knowledge–behavior gap. Trends in cognitive sciences, 18(11), 559-561.
Brownell, C. A., Svetlova, M., Anderson, R., Nichols, S. R., & Drummond, J. (2013). Socialization of early prosocial behavior: Parents’ talk about emotions is associated with sharing and helping in toddlers. Infancy, 18(1), 91-119.
Engdahl, I. (2011). Toddler interaction during play in the Swedish preschool. Early Child Development and Care, 181(10), 1421-1439.
Gelman, S. A., & Davidson, N. S. (2016). Young children’s preference for unique owned objects. Cognition155, 146-154.
Hay, D. F. (1979). Cooperative interactions and sharing between very young children and their parents. Developmental Psychology, 15(6), 647.
Hughes, C., McHarg, G., & White, N. (2018). Sibling influences on prosocial behavior. Current opinion in psychology, 20, 96-101.
Li, J., Wang, W., Yu, J., & Zhu, L. (2016). Young children’s development of fairness preference. Frontiers in psychology, 7, 1274.
Lin, Z., Yu, J., Jiang, Y., Wang, X. T., & Zhu, L. (2023). Longitudinal development of children’s sharing behaviour: Only children versus children with siblings from rural China. Child: Care, Health and Development, 49(2), 400-406.
Melis, A. P., Grocke, P., Kalbitz, J., & Tomasello, M. (2016). One for you, one for me: Humans’ unique turn-taking skills. Psychological science, 27(7), 987-996.
Over, H. (2020). The social function of imitation in development. Annual Review of Developmental Psychology, 2, 93-109.
Rizzo, M. T., Elenbaas, L., Cooley, S., & Killen, M. (2016). Children’s recognition of fairness and others’ welfare in a resource allocation task: Age related changes. Developmental psychology, 52(8), 1307.
Takagishi, H., Kameshima, S., Schug, J., Koizumi, M., & Yamagishi, T. (2010). Theory of mind enhances preference for fairness. Journal of experimental child psychology, 105(1-2), 130-137.
Ulber, J., & Tomasello, M. (2020). Young children’s prosocial responses toward peers and adults in two social contexts. Journal of Experimental Child Psychology, 198, 104888.
Vonk, J., Jett, S. E., Tomeny, T. S., Mercer, S. H., & Cwikla, J. (2020). Young children’s theory of mind predicts more sharing with friends over time. Child Development, 91(1), 63-77.
White, N., Ensor, R., Marks, A., Jacobs, L., & Hughes, C. (2014). “It’s Mine!” Does sharing with siblings at age 3 predict sharing with siblings, friends, and unfamiliar peers at age 6?. Early Education and Development, 25(2), 185-201.
Xiao, E., Shen, J., & Harris, P. (2022). Children with siblings differ from only children in their sharing behaviour. Early Child Development and Care, 192(7), 1007-1019.
Zmyj, N., & Seehagen, S. (2013). The role of a model’s age for young children’s imitation: A research review. Infant and Child Development, 22(6), 622-641.


Besitzt du noch oder teilst du schon? – Sharing Economy: Ein Überblick über das Teilverhalten der Schweizer:innen

Von Anna Six

Geteilter Konsum als Kontrast zur Wegwerfgesellschaft ist zunehmend populär. «Sharing Economy» heisst das Zauberwort. Ein Überblick zum Teilverhalten der Schweizer:innen.

«Sharing bedeutet, dass ein Produkt nicht einfach von einer Person gekauft, genutzt und weggeworfen wird, sondern auf seinem Weg vom ersten Kauf bis zur Entsorgung mehrere Besitzer hat und somit geteilt wird.» Dieser Satz stammt aus dem Sharing-Monitor Schweiz der Hochschule Luzern. Viele Menschen nutzen schon Sharing-Angebote, Unternehmen bieten Plattformen, um zu teilen, und Gemeinden oder Städte diskutieren und fördern die Potenziale der Sharing Economy. Das Projekt Sharing-Monitor spannt den Bogen über sämtliche Einzel­initiativen und zeigt den aktuellen Status der Sharing Economy in der Schweiz.
sharing-monitor.ch/monitor2021

Bei einigen Angeboten, etwa Verleihplattformen, stellten die Forschenden um Dominik Georgi fest, dass sie noch gar nicht so bekannt sind. Andere wiederum, wie das permanente Teilen von Wohnraum, sind vielen bekannt, doch das Potenzial ist tiefer, da ein grosser Teil der Befragten nicht bereit wäre, beispielsweise Wohngemeinschaften oder Angebote wie Cluster-Wohnen zu nutzen. Sehr beliebt sind in der Schweiz hingegen viele «klassische» Angebote, wie etwa Bibliotheken. Diese haben sich über lange Zeit bewährt.

Bei der Nutzung von Bibliotheken und Second-Hand-Läden gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Altersgruppen. Anders im Hinblick auf Plattformansätze: Initiativen, die vor allem online stattfinden, wie etwa Food­sharing, sprechen hauptsächlich jüngere Zielgruppen an. Auch Geldfragen betreffen die Generationen verschieden. So könnten sich jüngere Menschen das Teilen von Wohnraum, permanent als WG oder auch in den Ferien über Plattformen wie Couchsurfing, eher vorstellen. Das könnte ein Hinweis dafür sein, dass das Budget für junge Befragte eher ausschlaggebend ist – aber auch, dass sich Bedürfnisse verändern: Je nach Lebensphase und persönlichen Umständen passen einzelne Angebote mehr oder weniger gut zum aktuellen Lebensstil.

Sharing-Konzepte sind nicht per se nachhaltig. Es sei wichtig, sich alle drei Säulen der Nachhaltigkeit anzusehen, hält das Forscherteam fest: In der ökologischen Nachhaltigkeit kommt es darauf an, was die Alternative zum Teilen wäre und welche Folgen daraus entstehen. Sozial nachhaltig ist ein Angebot, wenn es zu mehr Zusammenhalt und Chancengleichheit führt. Ökonomisch gesehen kann die Sharing Economy zu zusätzlichem Einkommen führen, aber nicht immer ist es die
lokale Wirtschaft, die von den Angeboten profitiert. Man muss also sehr viele Auswirkungen berücksichtigen, um ein Angebot einschätzen zu können. ~amo


Nachgefragt bei Dominik Georgi und Larissa Dahinden von der Hochschule Luzern zum Thema «Sharing»

Von Anna Six

Sharing ist im Trend. Hat das Konzept eher das Potenzial, ältere und jüngere Generationen zu verbinden oder die Fronten zwischen ihnen zu verhärten?
Generationen unterscheiden sich in den Präferenzen für Angebote. Jüngere sind mit Plattformen und Matching-Algorithmen aufgewachsen. Ältere sind es dafür gewohnt, bei der Nachbarin zu klingeln, wenn ein Werkzeug gebraucht wird.
Allerdings wird schon geteilt, seit es die Menschheit gibt. Unter den richtigen Umständen können Generationen voneinander lernen. Wenn man zum Beispiel über die Community Pumpipumpe als Studentin bei einem Nachbarn Backformen leiht, führt das in manchen Fällen sogar dazu, dass man beginnt, Rezepte auszutauschen. Dadurch entsteht auch ein persönlicher Austausch.

Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit?
Hier führt es immer wieder zu spannenden Erkenntnissen, wenn man sich den Dialog zwischen den Generationen anhört. Junge Menschen, die sich für die Zukunft unseres Planeten einsetzen wollen, sind im Überfluss aufgewachsen. Oft sind sie überrascht, wenn sie hören, dass es früher normal war, Mehrweggeschirr zum Metzger mitzunehmen. Der Austausch über Besitz und Teilen kann zu einem Hinterfragen unserer Konsumgewohnheiten führen.

Teilt man auch, um sich nicht entscheiden zu müssen? Oder um letztlich mehr individuelle Freiheit zu haben?
Beides kann ein Grund sein. Wenn man sich etwas ausleiht, hat man sich nicht für eine permanente Lösung entschieden. So könnte man für kleinere Projekte eine günstigere Nähmaschine ausleihen – und wenn man etwas Grösseres näht, auf die Profivariante zugreifen. Auch die Freiheit, etwas nicht besitzen zu «müssen», spielt oft eine Rolle. Im Beispiel Car­sharing übernimmt Mobility für mich viele der anstrengenden Dinge, die mit dem Besitz eines Autos einhergehen, etwa das Organisieren der Services.
Neben diesen praktischen Vorteilen gibt es auch viele Menschen, die wegen der Erlebnisse teilen. Es gibt Angebote, über die wir auf Segelschiffe oder Camper zugreifen können. So können wir die Europareise im Camper machen, ohne uns gleich einen zu kaufen. Das wäre ohne diese Angebote deutlich schwieriger. ~amo


Kinderbücher zum Thema Teilen

Von Anna Six

Voll ungerecht! Über Fairness und Gerechtigkeit
Für jeden ein Stück – was heisst das? Dieses Buch ab 8 Jahren erklärt Kindern, was Gerechtigkeit ist und wie schwierig es sein kann, immer fair zu handeln. Auch die Themen Generationengerechtigkeit und Ungleichheit in der Welt kommen zur Sprache.

Assata Frauhammer (Text), Meike Töpperwien (Illustrationen), Beltz Verlag, 2024. 72 Seiten, ca. 25 Franken.


Zwei für mich, einer für dich
Drei leckere Pilze findet der Bär im Wald. Sein Freund, das Wiesel, schmort sie in der Pfanne. Doch dann haben die beiden ein Problem: drei Pilze für zwei? Wie soll das gehen? Ein liebevolles Bilderbuch ab 4 Jahren übers Teilen und Argumentieren.

Jörg Mühle, Moritz Verlag, 2018. 32 Seiten, ca. 20 Franken.

Teilst du mit mir?
Warum sollte ich teilen? Was mache ich, wenn mir ein Freund nichts abgeben möchte? Und wieso kann nicht jede:r das Gleiche besitzen? Unter 40 Klappen finden Kinder ab 4 Jahren heraus, warum Teilen so wichtig ist und das Zusammenleben mit Menschen und anderen Lebewesen bereichert. Dieses reizende Buch ist auch für Erwachsene sehr anregend.

Katie Daynes (Text), Christine Pym (Illustrationen), Usborne Verlag, 2022. 12 Seiten, ca. 18 Franken.


Das ist mein Baum
Augenzwinkernd, in wenigen knappen Sätzen, erzählt dieses Bilderbuch (ab 3 Jahren) von Besitzansprüchen, vom Nicht-hergeben- und Nicht-teilen-
Wollen. Und dass das ziemlich einsam machen kann. Gefühle, die Kinder nur zu gut kennen.

Olivier Tallec, Gerstenberg, 2020. 36 Seiten, ca. 19 Franken.