Ein ­Dossier übers ­Verlieben in der dritten Lebensphase

Die Liebe findet einem. Oder ­sollte man sie doch besser ­suchen? Und wie funktioniert das online?

Patrizia hatte eine Brieffreundin. Es war eine entfernte Verwandte, sie hiess Esther und lebte in Neuseeland. Die beiden Frauen tauschten sich rege aus. Aber Esther wurde krank und starb schliesslich, einen Monat bevor auch Patrizias Mann starb. Patrizia und Esthers Mann hielten weiterhin Briefkontakt, gaben sich über die Distanz Kraft. Die Beziehung intensivierte sich, sie besuchten sich gegenseitig, verliebten sich und heirateten. (Namen geändert.)

Das ist die sehr kurz zusammengefasste Liebesgeschichte einer «Grosseltern»-Leserin, die zeigt: Die Liebe findet auch im Alter oft auf wundersame Weise ihren Weg. Und nicht immer legt sie dabei so verschlungene Strecken zurück, wie in diesem Beispiel. Aber was, wenn sie einen nicht findet? Sollte man sich dann aktiv auf die Suche machen? Und wie merkt man, dass man bereit dafür ist? Gerade auch, wenn man vielleicht schon durch eine jahrzehntelange Beziehung gelebt und geliebt hat, die durch Tod oder Scheidung zu Ende gegangen ist.
«Sich neu verlieben wollen ist keine gute Idee. Wer so denkt und sucht, ist bereits von überzogenen Erwartungen getrieben. Und die Enttäuschung folgt sogleich», sagt der Schweizer Paar­therapeut und Psychologe Klaus Heer. «Voraussetzung für ein neues Beziehungsabenteuer ist ein freies Hirn und ein offenes Herz.» Ist das der Fall – das Herz also offen –, kann man der Liebe überall begegnen. Entweder im realen Leben, indem man sich vor die eigene Haustüre wagt und aktiv ist, zum Beispiel im Freundeskreis, im Freizeitclub, in der Oper oder beim Jassen. Oder mit Hilfe von Kontaktanzeigen in Zeitschriften oder im Internet (siehe Interview und Box).

Die Plattform Zu-zweit.ch hat sich auf Online-Dating-Portale spezialisiert und hilft einem dabei, das für sich passende Angebot zu finden. ­Zudem haben ihre Betreiber eine Studie zum Schweizer Online-Dating-Markt herausgegeben. Laut Sophia Heinrichmeyer von ­Zu-zweit.chist die Altersgruppe über 55 im Schnitt und unter Einbezug aller Portale am schwächsten vertreten. Tendenz jedoch steigend. Betrachtet man spezifischere Angebote, vor allem Partnervermittlungen und spezielle Singlebörsen für Personen über 50, ist der Anteil natürlich viel höher. Am schwächsten ist die Generation 55+ auf Dating-Apps vertreten, die übers Smartphone bedient werden, wie zum Beispiel Tinder. «Natürlich sind auch auf Tinder noch Singles über 55 zu finden – die Chance, dass sich hier jedoch eine ernsthafte Beziehung zwischen zwei Gleichaltrigen ergibt, ist eher gering», sagt Heinrichmeyer. «Zum einen ist die Auswahl vor allem in kleineren Städten sehr überschaubar, zum andern sind die Absichten bei Tindernutzern nicht immer durchsichtig.» Wer sich also ganz klar eine feste Beziehung wünscht, sollte eine darauf ausgerichtete Plattform in Betracht ziehen (Box). Laut dem Bundesamt für Statistik haben sich 17,9 Prozent der Paare im Alter zwischen 55 und 80 Jahren, die in den letzten Jahren eine Beziehung eingegangen sind, über Bekannte kennengelernt. Und 21,4 Prozent über eine Partnerbörse, eine Dating-App oder ein soziales Netzwerk.

Menschen haben gern Menschen um sich. Das dürfte vielen von uns spätestens in Zeiten des Social Distancings bewusst geworden sein. Verlieben im Alter hat den wesentlichen Vorteil, dass man auf Beziehungserfahrungen zurückgreifen kann. «Ein älterer Mensch weiss, dass er bei jeder neuen Liebe sich selbst mitnimmt», sagt Klaus Heer. «Dass also das Gelingen einer neuen Partnerschaft zum grössten Teil von ihm selbst abhängt. Und er wird zum Mindesten vermuten, worauf es bei dem neuen Anlauf ankommen könnte, damit es nicht schiefgeht.» Das ist aber nicht gleichzusetzen mit allzu fixen Vorstellungen, die man eventuell haben könnte. Mit denen steht man sich selber im Weg. Vielmehr verweist Klaus Heer darauf, dass «das langsame Näherrücken des Lebensendes einen auch etwas milder und flexibler stimmen könnte. Hinter manch Unvorhergesehenem verbirgt sich möglicherweise ein chancenreiches Geschenk.»

Trotz aller Offenheit für Überraschendes: Es ist gut, gewisse Dinge zu klären. Dabei geht es vor allem um grundsätzliche Gedanken, wohin sich die Romanze entwickeln soll. Die Perspektiven der sich anbahnenden Beziehung müssten mehr oder weniger konkret zur Sprache kommen. «Manche ältere und alte Männer zum Beispiel hegen im Hinterkopf die Idee, sich längerfristig ihre höheren Pflegestufen sichern zu wollen. Und Frauen suchen vielleicht eine materielle Versorgung. Alles kein Problem – vorausgesetzt, man spielt mit offenen Karten», sagt Klaus Heer. Und das ist ja das Schöne: alles kann, nichts muss: Heirat, Fernbeziehung, Freundschaft, Affäre … Dass man nicht mehr das halbe Leben vor sich hat, beeinflusst auf jeden Fall die Liebesgeschichte – und zwar positiv: «Nur noch wenig Zeit vor sich zu haben, gibt der Beziehung eine neue Liebesdringlichkeit, eine frische Intensität», sagt Beziehungsexperte Heer. Obwohl sich auch im Alter Gegensätze anziehen – Gemeinsamkeiten sind es, die verbinden. So gilt auch hier: Es kommt darauf an, was man sucht. Bei einer Affäre darf der Geliebte ganz anders sein, bei Heiratsabsichten sind ähnliche Werte und Interessen von Vorteil.
Und wann teilt man das neue Liebesglück mit den Kindern und Enkeln? «Zu Beginn ist das Geschmackssache. Es hängt davon ab, wie viel Offenheit man in der Familie gewohnt ist», sagt Klaus Heer. «Später, wenn sich die neue Beziehung verfestigt, drängt es sich wohl auf, dass man den neuen Partner familiär einbezieht. Das ist für alle ein Gewinn.»•


Welches Online-Dating-Portal eignet sich?

Sophia Heinrichmeyer von Zu-zweit.ch: «Wer über 55 ist und eine ernsthafte Beziehung sucht, sollte auf Angebote zurückgreifen, die speziell auf diese Altersgruppe zugeschnitten sind. In der Schweiz sind das:

Kultiviertesingles.ch
Date50.ch
50plus-treff.ch

Das Gute an diesen Portalen: Hier können sich Singles über 55 entspannt umsehen, ohne viele Mitglieder wegen des Altersunterschieds ausschliessen zu müssen. Alle Plattformen sind übersichtlich gestaltet und damit sehr benutzerfreundlich. Kultiviertesingles.ch bietet zudem einen wissenschaftlichen Persönlichkeitstest – somit wird es nicht dem Zufall überlassen, ob zwei Personen auch charakterlich zusammenpassen.»


Worauf muss man beim Online-Dating achten?

Nachgefragt bei Marianna Exter vom Portal 50plus-treff.ch, welches in der Schweiz knapp 30 000 Mitglieder hat.

Marianne Exter, wie beeinflusst die Corona-Krise das Dating-Verhalten auf dem Portal 50plus-treff.ch?
Marianne Exter: Wir verzeichnen leider etwas weniger Neuanmeldungen seit Beginn der Corona-Krise. Auch wenn sich die Online-Partnersuche besonders in Zeiten wie diesen sehr gut eignet, einen neuen Partner erst einmal online kennenzulernen, scheint der Schwerpunkt der Menschen – möglicherweise aufgrund von Gesundheits- und Existenzängsten – bei anderen Themen zu liegen. Der 50plus-Treff bietet aber neben der Partnersuche auch Kommunikations- und Austauschmöglichkeiten zum Knüpfen neuer Bekanntschaften und Freundschaften sowie zur Pflege bereits bestehender Kontakte. Und was wir hier feststellen, ist, dass unsere bereits registrierten Mitglieder sehr aktiv sind, was den Meinungsaustausch in diesen Foren und Blogs betrifft. Sie loggen sich mehrmals am Tag ein, um sich mit ihren Freunden und Bekannten auszutauschen, natürlich auch über das Thema Corona.

Warum ist das Internet, auch krisenunabhängig, ein geeignetes Instrument, um jemanden kennenzulernen?
Mit zunehmendem Alter fällt zum Beispiel der Arbeitsplatz als wichtige «Partnerbörse» weg. Vor diesem Hintergrund bietet eine Online-Partnerbörse oder Community vor allem älteren Menschen eine gute Möglichkeit, zunächst diskret und anonym neue Menschen kennenzulernen. Hinzu kommt, dass hier auch alle anderen Mitglieder auf der Suche nach Freundschaften oder einem Partner sind. Man ist somit sofort unter Gleichgesinnten.

Wie wichtig sind die Profilbilder? Was sollte darauf zu sehen sein?
Viele von uns würden gerne glauben, dass wir in einer Welt leben, in der das Aussehen keine Rolle spielt. Leider ist das nicht der Fall. Obwohl viele sich selbst als eine Person betrachten möchten, die andere nicht nach dem Aussehen beurteilt, wenn es ums Dating geht, sind die meisten Menschen daran interessiert zu wissen, wie ein potenzieller Partner aussieht. Dating- Profile ohne Foto und vollständige Angaben werden von den wenigsten angeklickt.
Daher ist es sehr wichtig, ein vollständiges und aussagekräftiges Profil mit einem schönen Porträtbild zu posten. Das Bild zeigt im Idealfall eindeutig das Gesicht und soll das aktuelle Aussehen widerspiegeln. Auf dem Foto soll man wirklich glücklich aussehen. Strahlende Freude und ein Lächeln werden garantiert eine positive Resonanz bei anderen hervorrufen.

Was geht gar nicht?
Ein Bild, auf dem man zehn Jahre jünger aus sieht, verschwommene Bilder, grimmiges Aussehen, ungepflegtes Äusseres, Fotos vom Auto, retuschierte Bilder. Ganzkörperbilder, Aufnahmen vom Hobby oder Haustier können gerne als Zusatz in die Galerie geladen werden, sind als Profilfoto jedoch
nicht geeignet.

Falls man Kinder und Enkelkinder hat, sollten diese auf dem Profilbild zu sehen sein?
Nein. Egal ob Grosseltern oder Eltern: Kinderfotos haben auf einem Dating-Portal nichts verloren.

Was sollte man bereits im Profil von sich preisgeben?
Das Profil sollte Interesse wecken und individuell gestaltet sein. Die eigenen Stärken, was einen ausmacht, der Lebensstil und die Hobbys sollen hervorgehoben werden, um die Neugier anderer zu wecken.
Authentizität ist der beste Weg, eine ­passende Person kennenzulernen. Im 50plus-Treff gehört zu jedem Profil ein Blog. Hier schreiben unsere Mitglieder über ihre Lieblingsbücher, Musik, Kunst oder persönliche Erlebnisse.

Angenommen, man wird mit Zuschriften überflutet: Wie soll man sich entscheiden?
Mit 55 Jahren und älter weiss man, was man will und von einem Partner erwartet. Daher kann man in der Regel schon zwischen den Zeilen lesen und erkennen, worum es in einer Zuschrift ­wirklich geht. Mit etwas Aufmerksamkeit und Menschenverstand lassen sich oberflächliche oder nicht ernst gemeinte Zuschriften sowie «schwarze Schafe» leicht erkennen. Macht der perfekte Traumpartner unrealistische Versprechungen oder ist der Text eines vermeintlichen Akademikers voller Rechtschreibfehler, ist eine gesunde Portion Skepsis sicher angebracht.

Und umgekehrt: Wie verhält man sich, wenn sich praktisch niemand meldet?
Wenn sich praktisch niemand meldet, sollte man sein Profil überprüfen. Ist es ausgefüllt und aussagekräftig? Habe ich ein Foto? Wirke ich darauf sympathisch? Habe ich andere Mitglieder angeschrieben? Den ersten Schritt zu machen, ist natürlich nicht immer ­einfach, aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ein origineller, witziger Text kann das Eis schnell brechen. Sollte der oder die Auserwählte kein Interesse zeigen oder
ablehnend reagieren, so darf man sich dadurch nicht entmutigen lassen. Einfach bei anderen Personen versuchen und anhand der Profil-
angaben darauf achten, dass die Person, die man kontaktieren möchte, auch zu einem passt. Die Grundregeln sind, das Ganze locker anzugehen, optimistisch und aktiv zu bleiben. Und ganz wichtig: Neben der Partner-
suche auch offen für Freundschaften sein, denn aus Freundschaften ergibt sich oft mehr …

Welches ist Ihr wichtigster Rat?
Suchen Sie zunächst nach neuen Freunden!
Machen Sie sich also keine Gedanken darüber, ob Sie den Traummann oder die Traumfrau finden. Konzentrieren Sie sich einfach darauf, neue Kontakte zu knüpfen. Nutzen Sie dazu beispielsweise den Chat und tauschen Sie sich mit anderen Mitgliedern in den diversen Foren aus. Denn
oftmals stellt sich einer der neuen Online-Kontakte später als der lang gesuchte Partner heraus. So haben sich bereits Hunderte von Pärchen im 50plus-Treff kennengelernt.

Wann trifft man sich das erste Mal im echten Leben?
Wie beim Austausch persönlicher Daten, etwa Telefonnummer oder E-Mail-Adresse, ist auch der Zeitpunkt für das erste Treffen ein sensibles Thema: Auf der einen Seite sollte man sich Zeit lassen. Nach dem Austausch von Nachrichten soll man erst einmal zum Telefonieren übergehen. Dabei zeigt sich, ob die Chemie stimmt und ob man sich in die gleichen Themen vertiefen kann. Auf der anderen Seite sollte man aber auch nicht zu lange mit dem ersten Treffen warten, denn sonst könnte sich eine zu grosse Erwartungshaltung aufbauen, die am Ende enttäuscht wird. Einfach auf das Gefühl hören. Das erste Date sollte auf «neutralem Boden» stattfinden. Hier bietet sich ein Spaziergang an, ein Treffen im Café, ein Drink in einer Bar
oder eine Verabredung in einer Galerie oder einem Museum. Das erste Treffen soll niemals in der eigenen Wohnung oder in der Wohnung des Dates stattfinden! •


Zahlen vom Bundesamt für Statistik 2018

Bei den 55–64-jährigen Frauen sind 26,8 Prozent alleinstehend,
bei den 65–80-jährigen Frauen sind es 37,8 Prozent

Bei den 55–64-jährigen Männern sind 16 Prozent single,
bei den 65–80-Jährigen sind es 17,8 Prozent

Diese Abweichungen zwischen Frauen und Männern lassen sich unter anderem mit den Altersunterschieden in den Paaren erklären – bei den meisten Paaren (59 Prozent) ist der Mann älter als die Frau – sowie mit der höheren Lebenserwartung der Frauen.

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