Kurse für Grosseltern: Braucht es das?

Grosseltern wissen, was es heisst, Kinder zu haben. Weshalb sollen sie einen Kurs besuchen? Wir haben bei Stefanie Geiser von der Suchtprävention Aargau nachgefragt. Sie leitet erfolgreich den Kurs „EnkelKinderZeit“.

Eveline Rutz (Interview)

Stefanie Geiser, Fachfrau Suchtprävention, Projektleiterin EnkelKinderZeit

Grosseltern wissen, was es heisst, Kinder zu haben. Weshalb sollen sie einen Kurs besuchen?
Stefanie Geiser: In unserem Kurs geht es nicht um Knowhow, wie man Kinder erziehen soll. Es geht darum, dass sich Grosseltern über ihre Rolle Gedanken machen. Wie möchte ich diese gestalten? Welche Werte möchte ich weitergeben? Und wie kann das gut gelingen?

Im Vordergrund steht also die Beziehung zu den Enkelkindern.
Genau. Grosseltern haben nicht primär einen Erziehungsauftrag. Der Fokus liegt auf der Beziehung und wie man sie gestaltet. Dazu gehört es, mit verschiedenen Bedürfnissen umzugehen. Die Generationen haben manchmal unterschiedliche Vorstellungen vom Alltag, vom Leben oder davon, was spannend ist.

Welche Werte möchten Grosseltern vermitteln?
Das ist ganz individuell: Liebe, ein respektvoller, liebevoller Umgang, Erlebnisse in der Natur und auch Humor sind vielen wichtig. Die Liste ist aber noch viel länger.

Grosseltern möchten ihren Enkeln eine vertraute Bezugsperson sein.
Ja, Grosseltern können Anker sein – Ansprechpersonen, wenn es schwierig ist. Es geht ihnen nicht um Dinge, die früher wichtig waren. Dass man das Licht immer löscht etwa. Die Beziehung ist wichtiger geworden, gemeinsame Erlebnisse stehen im Vordergrund.

« Grosseltern müssen sich mit sich selbst auseinandersetzen » 

Stefanie Geiser, Fachfrau Suchtprävention, Projektleiterin EnkelKinderZeit

Sie haben gesagt, Grosseltern sollen nicht primär erziehen. Dennoch: Unterschiedliche Erziehungsstile sind in Familien häufig ein Thema. Was hat sich verändert, seit heutige Grosseltern Eltern waren?
Man ist von einem eher autoritär geprägten Erziehungsstil weggekommen. Viele Eltern verfolgen heute einen beziehungs- und bedürfnisorientierten Ansatz. Das Kind steht stärker im Zentrum. Im Kurs hören wir häufig, dass Kinder heute mehr ausprobieren dürfen. Ein Beispiel: Früher sind Kleinkinder mit dem Löffel gefüttert worden. Heute sollen sie das Essen selbst entdecken. Es geht weniger darum, ein Kind zu einem Menschen zu erziehen, der in die Gesellschaft passt. Man achtet stärker auf seine Persönlichkeit und fördert diese. Man weiss heute mehr darüber, was ein Kind braucht, um sich gesund zu entwickeln. Das führt aber auch zu mehr Druck und mehr Stress für die Eltern. Da können Grosseltern Gelassenheit hineinbringen. Wir – also die heutigen Eltern – sind ja auch gross geworden.

Meinen Sie damit, dass Eltern häufiger ihrer Intuition vertrauen sollen?
Ja. Ich bin kürzlich Mutter geworden und mache diese Erfahrung gerade selbst. Ich beschäftige mich beruflich mit Erziehungsfragen und weiss viel. Manchmal bin ich jedoch froh, wenn mir meine Mutter oder meine Schwiegermutter sagen «Wir haben das damals so oder so gemacht».

Welche Themen sorgen zwischen Grosseltern und Eltern am häufigsten für Konflikte?
Konflikte gibt es überall dort, wo man nicht miteinander spricht – oder wo ein Part zurückstecken muss. Beim Essen machen Eltern vielleicht strengere Vorgaben als Grosseltern. Ein anderes Beispiel sind spontane Hüte-Einsätze. Wenn selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass die Grosseltern dann schon hüten und diese eigene Termine verschieben müssen.

Wer hat das letzte Wort? Eltern oder Grosseltern?
Das kommt auf die Situation an. Die Eltern haben den Erziehungsauftrag und sollten in den grundlegenden Fragen das letzte Wort haben. Gerade wenn beide anwesend sind, dürfen sich Grosseltern zurücknehmen. Das ist ja auch entlastend. Wenn es ihren Haushalt oder ihre Bedürfnisse betrifft, ist es wichtig, dass Grosseltern ihre Sicht ansprechen. Wenn Eltern beispielsweise finden, dass ihr Kind nicht fernsehen soll, aber gerade ein spannendes Skirennen läuft. Es kann für ein Kind ein tolles Erlebnis sein, zusammen mit dem Grosspapi ein Skirennen zu schauen. Bei den Grosseltern dürfen andere Regeln gelten als zu Hause. Kinder können das gut unterscheiden.

Was ist zu tun, wenn Grosseltern glauben, alles besser zu wissen?
(lacht) Grosseltern können sich vorstellen, dass es anstrengend ist, wenn man mit gut gemeinten Ratschlägen überhäuft wird. Das wirkt sich negativ auf die Beziehung aus. Wenn Eltern mit einem solchen Verhalten konfrontiert sind, sollten sie es auf eine gute Art und Weise ansprechen. Dabei hilft das Gesprächsmodell des kollaborativen Problemlösens, das wir im Kurs vermitteln. Grosseltern dürfen ihren Kindern vertrauen, dass sie sich gut um die Enkelkinder kümmern. Wenn sie sich Sorgen machen, dürfen sie diese äussern und Hilfe anbieten. Ihr Angebot darf allerdings auch abgelehnt werden.

Was raten Sie wiederum Grosseltern, die sich von ihren Kindern bevormundet fühlen?
Das Gleiche. Es geht darum, dem Gegenüber zu erklären, was einem wichtig ist. Genauso wichtig ist es zuzuhören und herauszufinden, was die Tochter oder Schwiegertochter braucht, damit sie den Grosseltern ihr Kind anvertrauen kann. Man muss zusammen eine Lösung suchen, die für beide Seiten stimmt.

Sich auszutauschen lohnt sich wahrscheinlich auch, wenn Grosseltern mehr Zeit mit ihren Enkelkindern verbringen möchten. Oder?
Genau. Es ist wichtig, einen solchen Wunsch anzusprechen, damit Eltern überhaupt wissen, dass er da ist. Die Eltern möchten die Grosseltern vielleicht entlasten und bitten sie daher nicht häufiger darum, zu hüten. Wenn man nicht miteinander spricht, entstehen Missverständnisse.

Müssen Grosseltern ihren Enkeln etwas bieten? Sollen sie sich etwa wieder Spielsachen anschaffen, wenn sie keine mehr im Haus haben?
Kinder brauchen nicht viel, um sich zu beschäftigen. Sie brauchen keine Spielsachen. Sie können mit Haushaltsgegenständen, Kartonschachteln, Decken oder Kissen viel erschaffen. Man kann sich zusammen Fotos anschauen, zusammen kochen oder in der Werkstatt etwas bauen. Man kann die Kinder am eigenen Leben teilhaben lassen. Das Zentrale ist, dass man sich Zeit nimmt und sich auf sie einlässt.

Was sagen Sie zur Befürchtung, die Kinder könnten sich langweilen?
Langeweile ist an sich etwas Wertvolles. Aus Langeweile können kreative Ideen entstehen – wenn man Kindern diesen Raum lässt. Und sonst kann man gemeinsam überlegen, was man machen könnte.

Was gibt Grosseltern der Kontakt zu ihren Enkeln?
Das Gefühl, gebraucht zu werden. Liebe zu geben und zu empfangen. Alle Menschen brauchen soziale Kontakte, um glücklich zu sein und gesund zu bleiben. Sie halten fit.

Wie haben sich die Beziehungen zwischen Grosseltern und Enkeln verändert?
Kursteilnehmende berichten von schönen Erinnerungen an ihre Grosseltern, vom gemeinsamen Besuch der Kirche oder den Dampfnudeln, die aufgetischt wurden. Daneben hören wir aber ebenso von autoritären Grossvätern, denen man nicht widersprechen durfte. Oder von Grossmüttern, die Kinder ermahnten, die Polstermöbel nicht dreckig zu machen. Nicht wenige haben ihre Grosseltern gar nicht gekannt. Das ist der wesentliche Unterschied: Es ist üblicher geworden, dass sich Grosseltern an der Betreuung beteiligen, weil häufiger beide Elternteile erwerbstätig sind. Dadurch ist die Beziehung intensiver geworden. Grosseltern haben mehr Einfluss auf die Entwicklung ihrer Enkelinnen und Enkel – und auch mehr Verantwortung.

Grosseltern springen ein, damit ihre Kinder ihrem Beruf nachgehen können. Trägt das nicht dazu bei, dass die Schweiz in Sachen ausserfamiliärer Betreuung noch nicht besser aufgestellt ist?
Das kann ich nicht beurteilen. Aus Sicht der Suchtprävention ist es ein Geschenk, wenn sich Grosseltern an der Betreuung beteiligen. Sie können wichtige Bezugspersonen sein, die dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche zu starken und gesunden Erwachsenen werden. Umgekehrt halten die Enkelkinder die Grosseltern physisch und psychisch gesund.

Fühlen sich manche Grosseltern unter Druck, regelmässig zu betreuen?
Wahrscheinlich schon. An unserem Kurs nehmen Grosseltern teil, die in der Regel gerne hüten. Es ist aber immer wieder ein Thema, dass sie Zeit für sich, ihre eigenen Interessen und Freundschaften haben möchten. Meist beginnt ihr Engagement mit dem ersten Enkelkind. Dann kommt ein Geschwisterchen dazu oder ein anderes Kind hat ebenfalls Nachwuchs. Da kann es schon sein, dass sich Grosseltern plötzlich unter Druck fühlen. Dann ist es wichtig, nein sagen zu können. Solche Situationen sind herausfordernd, sie gehören zum Grosselternsein jedoch dazu. Grosseltern müssen sich mit sich selbst und ihren Grenzen auseinandersetzen.

Je älter Kinder werden, desto mehr Raum nehmen Schule, Hobbys und Freunde ein. Was raten Sie Grosseltern, um dennoch in Kontakt zu bleiben?
Interessiert zu sein und nachzufragen. Oft werden beispielsweise digitale Medien als negativ beurteilt. Doch es lohnt sich, sich mal ein Game erklären zu lassen. Wie Grosseltern Freude haben, wenn die Enkel mit ihnen jassen, so freuen sich Kinder, wenn man sich für ihr Hobby interessiert. Grosseltern können sich auf die Kommunikationswege der jungen Erwachsenen einlassen. Sie dürfen aktiv auf ihre Enkel zugehen und ihnen sagen, dass sie Zeit mit ihnen verbringen möchten. Kontraproduktiv sind hingegen Sätze wie «Du könntest schon wieder mal vorbeikommen».

Warum bietet ausgerechnet die Suchtprävention Kurse für Grosseltern an?
Wir von der Suchtprävention stellen uns die Frage, was der Mensch braucht, um gesund zu bleiben. Was braucht es, damit man ein gutes Leben hat und Suchtmittel oder auch Glücksspiele nicht dazu nutzt, um sich von Problemen abzulenken? Die psychische Gesundheit hängt stark mit bereichernden sozialen Beziehungen zusammen. Die Beziehung zwischen Grosseltern und Enkelkindern ist eine wichtige Ressource für beide Seiten. •


EnkelKinderZeit
Der Kurs EnkelKinderZeit richtet sich an Grosseltern, die sich mit ihrer Rolle auseinandersetzen möchten. Er thematisiert die Beziehungen zwischen den Generationen, den Umgang mit Konflikten sowie das eigene Wohlbefinden. Das vierteilige Webinar ist von der Suchtprävention Aargau entwickelt worden.
Es wird das nächste Mal vom 21. Oktober bis am 2. Dezember 2023 durchgeführt.
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