Andrew Bond lebt im Haus seiner Grosseltern

Geraldine Capaul (aufgezeichnet)

“Meine Grosseltern waren vier besondere Menschen”: Der Musiker Andrew Bond

Herzensgute Chrampfer und engagierte Intellektuelle: Der Kinderliedermacher Andrew Bond hatte unterschiedliche Grosseltern. Zur Magie seines Lebens
haben aber alle vier beigetragen.

Wir Menschen sind im Grunde genommen wie Stoff, der aus den Fäden unserer Ahnen gewoben wird. Damit meine ich nicht mal unbedingt die genetischen Einflüsse, sondern wie wir geprägt sind. Ich bin stolz und glücklich, dass meine Grosseltern mütterlicher- wie väterlicherseits an meiner Entwicklung beteiligt waren. Alle vier waren einzigartig und sehr wichtig für mich.
Johanna Spring, meine Grossmutter mütterlicherseits, war die Tochter eines Posthalters, der früh gestorben war. Seine Witwe übernahm das Postamt und war vermutlich die erste Posthalterin im Emmental. Das bedeutete für meine Grossmutter mehr mithelfen, nochmals 2,5 Stunden Extrafussweg, um einen Brief auszutragen. Dabei ging sie so gern zur Schule und war richtig gut. Sie wollte Lehrerin werden. Aber daraus wurde nichts.
Hans Schellhaas, mein Grossvater, wuchs als Sohn eines Oberschweizer Milchbauern in Preussen auf. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, floh die Familie in die Schweiz. Mein Grossvater ging nur wenige Jahre zur Schule, arbeitete als Schweinehirt im Wald und als Jugendlicher als Bauernknecht. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem er gedient hatte, zogen meine Grosseltern nach Wädenswil, wo sie ein baufälliges Haus mit viel Land kaufen konnten. Das ist das Haus, in dem ich heute mit meiner Familie lebe. Meine Wädenswiler Grosseltern waren beide herzensgute Chrampfer. Ihr Haus war immer voller Kinder, Pflegekinder, aber auch deutscher Kinder, die in der Schweiz Zuflucht suchten. Sie kümmerten sich um alle. Neben dem kleinen Bauernbetrieb, dem grossen Garten und der Familie arbeitete mein Grossvater als Schlauchweber für Feuerwehrschläuche. Meine Eltern, Geschwister und ich lebten bis zu meinem zwölften Lebensjahr in England. Wir verbrachten ein paar Mal die Sommerferien in Wädenswil. Da mein Grossvater nicht englisch sprach und ich noch nicht deutsch, konnten wir uns nicht wirklich unterhalten. Trotzdem war er mir nahe. Ich erinnere mich an unsere Ausflüge in den Wald, bei denen er uns die Natur näherbrachte und uns jeweils mit seinem Sackmesser einen Apfel viertelte. Er war sehr musikalisch, hat Handorgel und Mundharmonika gespielt und viel gesungen. Als er starb, zogen wir von England zu meiner Grossmutter ins Haus nach Wädenswil. Johanna wurde 93 Jahre alt. Wir wohnten zwischendurch also in einem Vier-Generationen-Haus. Bis zu ihrem Tod besuchte ich sie fast jeden Samstagabend, wenn unsere Kinder im Bett waren. Ich brachte ihr einen frischen Sonntagszopf mit und wir plauderten und schauten «Wetten, dass …?» oder Ähnliches.
Meine Grosseltern väterlicherseits lebten in England. Connie Barton war eine der ersten Frauen, die in Cambridge studierten. Griechisch und Latein. Sie war unglaublich eloquent und gescheit. Im Alter von sieben Jahren wurden mir die Mandeln entfernt. Zur Kur durfte ich zu meiner Granny. Während dieser Zeit brachte sie mir das griechische Alphabet bei, die Namen von Wildblumen auf Englisch und Latein und wie man Brot backt. Ich sog all das wie ein Schwamm auf. Das war meine Welt. Ich verschlang auch ihre alten Geschichtsbücher, wir spielten Scrabble und sie las mir Klassiker vor.
Winsor Bond, mein Grossvater, war Pfarrer. Er war ein sehr aktiver und engagierter Mensch, der sich stark für andere einsetzte. Er liebte Vögel, war ein regelrechter Vogelnarr. Nach seinem frühen Tod zog meine Grossmutter in einen Bungalow in einem Nationalpark im Norden Englands. Das ist bis heute mein «Happy Place», an den ich mich regelmässig zurückziehe, wenn ich in Ruhe etwas Neues erschaffen möchte. Meine Grossmutter achtete auf ihre Ausdrucksweise. Im Alter von 100 Jahren erzählte sie mir: «I said the F-Word – for the first time.» Erst später erfuhr ich, dass sie «fantastic» meinte, ein amerikanischer Ausdruck, den es in ihrem perfekten British English nicht gab. Auch als ich in der Schweiz lebte, blieben wir in enger Verbindung. So schickte sie mir jahrzehntelang vier Mal im Jahr einen Satz der neuen Sonderbriefmarken zu, weil ich mir die zu meinem 8. Geburtstag gewünscht hatte. Für jede Serie bedankte ich mich in einem langen Brief, worauf sie mir ausführlich antwortete. Sie wurde 103 Jahre alt.
Familie, Musik, Wissenschaft, Garten und Vögel – das ist meine Welt, die ich auch dank meiner Grosseltern kennenlernen durfte. Es waren vier besondere Menschen, die alle einen bedeutenden Beitrag zur Magie meines Lebens geleistet haben. Dafür bin ich sehr dankbar. •

Andrew Bond (58) ist der Mann hinter vielen bekannten Kinderhits, wie etwa «Zimetschtern han i gern», den er vor 25 Jahren geschrieben hat und der bis heute von den Kindern in der ganzen deutschsprachigen Schweiz gehört und gesungen wird. Bevor er zu einem der erfolgreichsten Kinderliedermacher der Schweiz wurde, hat er Theologie studiert und war als Lehrer tätig. Am 16. und 17. September tritt er mit dem Schweizer Jugendsinfonie-Orchester in Rorschach und Baden auf. Am 17. Dezember wird er um 13.30 und um 17 Uhr mit «Zimetschtern sing i gern» im Hallenstadion auftreten. Begleitet wird er bei diesen Jubiläumskonzerten von einer Band und einem grossen Chor. Bond hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit seiner Frau in Wädenswil.
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