Peach Webers Grossmutter hatte einen Gerümpel-Schrank. Die Dinge darin brachten die Augen ihres Enkels zum Glänzen.
Von KARIN DEHMER (Aufzeichnung)
Mit meiner Grossmutter väterlicherseits verbinde ich einen Grossteil meiner Kindheits- und Jugenderinnerungen. Ich war sehr viel bei ihr, eigentlich jeden Samstag, bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr. Meine Schwester und mein sieben Jahre jüngerer Bruder waren manchmal auch dabei, daran erinnere ich mich nicht genau. Ich war aber sicher von allen dreien derjenige, der Grossmutter am nächsten stand. Ihren Mann, meinen Grossvater, habe ich nicht mehr gekannt, der ist bereits gestorben, als mein Vater noch ein Kind war. Grossmutter musste allein schauen, wie sie sich und ihr einziges Kind durchbrachte.
Wenn ich bei ihr war, gingen wir oft zusammen in den Wald, Beeren und Holz suchen. Im Wald gab’s alles gratis, und was Grossmutter im Wald fand, musste sie nicht kaufen. Die Beeren assen wir dann mit Schlagrahm. Zum «Grosi» zu gehen, war wie in eine andere Welt einzutauchen. Für eine Strohfabrik stellte sie zu Hause Hüte her. Ihr Arbeitsplatz war ein einzigartiges Sammelsurium: Strohhalme, Bänder, Schnüre, Werkzeug. Ich durfte ihr jeweils helfen, grosse Stränge von Bändern in handliche Knäuel zu wickeln, und mit den Strohabfällen konnte man basteln.
Telefonhörer, Nägel, Werkzeuge
Aber das Beste in Grossmutters Haus war der Gerümpel-Schrank. Wenn ich zu ihr kam, ging ich immer als Erstes zu ihm hin. Grossmutter sammelte darin alles, von dem sie dachte, dass sie es noch mal brauchen könnte: Paketschnüre, Geschenkpapier, Stoffreste – säuberlich zusammengefaltet –, Fadenspulen, Holzstücke, Telefonhörer, Nägel, Werkzeuge und verschiedenste Ersatzteile. Ich durfte mit den Sachen spielen und basteln; aus einem Holzbrett und Fadenspulen ein Auto zusammenhämmern, zum Beispiel. Vielleicht war der Schrank auch nur das Zweitbeste, weil an den Samstagnachmittagen kamen jeweils meine Tanten zu Grossmutter zu Besuch. Selten war auch ein Onkel dabei, meist aber waren es nur Frauen. Grossmutter hatte ein riesiges Sofa und einen grossen Fauteuil. Die Tanten setzten sich aufs Sofa, es gab Kaffee und Kuchen, und ich legte mich quer über den Fauteuil und hörte zu. Alles wurde dann durchgenommen und besprochen, was in der vergangenen Woche passiert war. Ich konnte nichts fragen oder sagen, es gab keine Lücke, aber ich wollte auch nicht stören. Es war zu faszinierend, zuzuhören. Diese Samstagnachmittage waren besser als jede Wellness-Woche im Hotel.
Sie machte nicht «’s Chalb»
Grossmutter verwöhnte mich in Massen. Sie hatte ja wenig Geld. In einem Schrank lag immer eine Frigor-Schoggi und immer durfte ich nur zwei Reihen davon nehmen. Dann musste ich sie zurücklegen fürs nächste Mal. Auch für Ausflüge fehlte das Geld. Unsere Ausflüge beschränkten sich auf den Wald. Sie hatte einen verschmitzten Humor, meine Grossmutter. Sie machte nicht «’s Chalb», aber ihre trockenen, beiläufigen Bemerkungen sorgten immer wieder für Lacher.
Natürlich gab es dann auch eine Zeit, in der ich sie weniger besuchte, während und nach der Pubertät. Aber sie war nie beleidigt. Sie freute sich, wenn ich kam, und wenn nicht, war’s auch gut. Später, mit 22 Jahren, als ich aufs Lehrersemi ging, ass ich dann wieder regelmässig bei ihr zu Mittag.
Von Grossmutter habe ich ein Auge für Dinge behalten, die man mehrmals brauchen kann. Schnüre zum Beispiel. Oder wussten Sie, dass man einen Migrossack bis zu siebenhundert Mal verwenden kann? Ich hab’s ausprobiert, funktioniert! •
Aus dem Grosseltern-Magazin 10/2018