Masernimpfung: Unser „Hausarzt“ ist gegenüber impfkritischen Eltern tolerant. Die Toleranz fällt aber nicht immer leicht.


Meine Freunde und ich waren nie Impfideologen, aber wir waren und sind überzeugt, dass die Masernimpfung im Vergleich mit der Krankheit das «viel kleinere Übel» ist. Wir tolerieren die Idee von Impfskeptikern, dass die natürliche Krankheit zur Entwicklung der Kinder beitrage. Was wir nicht goutieren, ist die Behauptung, dass die Impfung gefährlich sei und dass sie die Ursache von Autismus, verbunden mit Darmentzündung, sein könne.

Diese berühmte Diskussion wurde 1989 losgetreten vom englischen Arzt Wakefield, der kein Impfspezialist war. Er löste einen wahren Tsu­nami aus in Presse, Radio, TV. Rückblickend entbehren seine Behauptungen jeglicher Grundlage. Zudem hatte er Daten gefälscht und 2010 wurde ihm deswegen die Berufsausübung untersagt. Viele Studien sind in den folgenden Jahren der Frage von schweren Nebenwirkungen nachgegangen, unter anderem auch der Frage von vermehrten Allergien. Es bleibt dabei: Die Impfung kann zwar leichte Nebenwirkungen haben wie Fieber oder sogenannte Impfmasern (eine schwache Form), aber sie verursacht keine schweren Nebenwirkungen und sie schützt hervorragend, vorausgesetzt, man impft zweimal. Die seltenen Erkrankungen bei Geimpften verlaufen milder.
Vor der Masernimpfung zeigten die Statistiken ein erschreckendes Bild. Masern ist keine banale Krankheit. In den USA gab es in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts unter den vielen Millionen Masernfällen statistisch eine Hirnentzündung auf tausend Erkrankte (zum Teil mit bleibenden Defekten), Millionen von Mittelohr- und Lungenentzündungen, darunter schwere Verläufe mit Hunderten von Todesfällen. Ein Pendant dazu findet man momentan in der Ukraine, wo nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die medizinische Versorgung einbrach. Gemäss WHO erkranken dort je nach Jahr 10 000 bis 20 000 Menschen an Masern, mit mehreren Todesfällen. Hierzulande kennt man Masern kaum noch, aber es gibt immer wieder lokale Ausbrüche.
angestrebte

Herden-Immunität
So habe ich vor ungefähr zwanzig Jahren während eines lokalen Ausbruchs im Dorf um die dreissig Masernfälle gezählt. Viele junge Kollegen im Spital haben nie mehr Masern live gesehen und den Ausschlag damals nicht einmal erkannt! Aktuell wurde wieder ein Ausbruch in der Schweiz gemeldet. Grosse Epidemien gibt es aber nicht mehr. Wie kommt es dazu, dass die Krankheit selten geworden ist? Der Grund ist die sogenannte «Herden-Immunität». Wenn über 90 Prozent, noch besser über 95 Prozent der Kinder geimpft werden, wird die Übertragung im grossen Stil verhindert. Erst wenn das Virus auf eine Gruppe von Ungeimpften trifft, kommt es zu den lokalen Epidemien. Man kann die Masern ausrotten, wie es Finnland vormacht mit seinem Impfzwang vor Schuleintritt. Die Schwierigkeit hierzulande ist die, dass die Impfskeptiker über ihren Schatten springen müssten, damit unsere ganze Gemeinschaft geschützt ist. Das Risiko, zu sterben oder ein Leben lang an den Folgen einer Hirnhautentzündung zu leiden, ist für den Einzelnen in der Schweiz klein (aber nicht null!). Das nehmen die impfkritischen Eltern auf sich und sie dürfen das auch, denn es gibt (noch) keinen Impfzwang. Wenn sich aber eine kritische Anzahl weigert zu impfen, sinkt die erwähnte «Herden-Immunität» ab und es kommt zu grösseren Epidemien. Wahrscheinlich wird dieser Konflikt in unserer pluralistischen Gesellschaft nie auflösbar sein. Vor Jahren hatte der Bund die unglückliche Idee, den Slo­gan «qui aime bien, vaccine bien» (frei übersetzt: «wer liebt, der impft») zu lancieren. So geht das nicht in der Schweiz, impfkritische Eltern lieben ihre Kinder selbstverständlich genau gleich.


Uns Hausärzten ist es wichtig, klar Stellung zu beziehen, den Fantasten und falschen Propheten Tatsachen, Erfahrung und die Resultate von seriösen Untersuchungen entgegenzuhalten und dabei doch tolerant zu bleiben gegenüber jenen Eltern, die aufgrund ihres Weltbildes anders denken als wir. Aber wenn man bedenkt, dass 2017 weltweit (wegen des fehlenden Impfstoffs) geschätzt 30 Millionen Masernfälle auftraten und davon um die 100 000 Menschen starben, hat man manchmal schon etwas Mühe mit der Toleranz. Wollen wir wirklich zurück in die Steinzeit? Oft denken meine Frau und ich an unsere Erfahrung im peruanischen Altiplano, wo wir im Rahmen des nationalen Programmes Impfkampagnen durchführten. Es war schwierig, ohne Strom die notwendige funktionierende Kühlkette für die Impfung zu etablieren. Aber die Impfaktion war wahrscheinlich etwas vom Wirkungsvollsten, was wir dort in den vier Jahren machen konnten.

Edy Riesen (70) war als Hausarzt in Ziefen (BL) tätig. Er führte seine Praxis bis vor Kurzem mit seinem Schwiegersohn und ist mehrfacher Grossvater.

2 Gedanken zu „Masernimpfung: Unser „Hausarzt“ ist gegenüber impfkritischen Eltern tolerant. Die Toleranz fällt aber nicht immer leicht.

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