Nonna, Grosspapa, ich bins. Eure Enkelin, die ihr oft am Vormittag mit viel Liebe an die Hand genommen habt und mit der ihr mit stolzem Haupt in Richtung Dorf gezogen seid, um Brot zu holen. Das frische Brot war dann allerdings ein Heiligtum. Meist wurde es – sehr zum Leidwesen von uns Kindern – erst drei Tage später angeschnitten, wenn das alte Brot aufgegessen war. Und immer, wenn es so weit war und das neue Brot angeschnitten werden sollte, habt ihr zuerst mit dem Messer auf der Unterseite des Laibes ein Kreuz reingeschnitzt. Dann erst schnitt Nonna Scheiben davon ab und strich für uns zum Frühstück mit viel Liebe «Pezzettini mit Confi». Was für ein Gaumenschmaus!
Wie es sich für eine italienische Grossmama gehört, hat sie uns Bambini immer sehr verwöhnt. Es drehte sich alles um uns, jeder Wunsch wurde uns von den Lippen gelesen. Die kleingewachsene Frau mit den schönen schwarzen Locken konnte aber auch richtig streng sein, zum Beispiel, wenn es um die Weihnachtsguetzli ging. Die wurden nur sehr sparsam verteilt und wehe uns, wenn wir heimlich davon naschten … – was mein Bruder und ich natürlich immer taten, aber uns nicht erwischen liessen.
Viel Natur und Rosenkranz
Zusammen mit Nonna und Grosspapa gingen wir immer nach draussen, machten ausgedehnte Spaziergänge, auf denen uns Grosspapa viel über die Natur und die Tiere erzählte. Nonna kannte die deutschen Ausdrücke meist nicht alle. Der Gärtnermeister hingegen benannte all die Blumen, Büsche und Farne nicht nur mit dem deutschen Namen, sondern wusste auch all die lustigen Bezeichnungen – die lateinischen Namen. Gemeinsam staunten wir über jedes Steinchen, über die Grashüpfer und die kunstvoll geschwungenen Schneckenhäuschen, wir sammelten Kastanien und Baumnüsse, bis unsere Hosentaschen platzten. Jeder Schritt war ein kleines Abenteuer. Auch an die Kirchgänge, die bei unseren Besuchen immer dazugehörten, erinnere ich mich. Wie andächtig ihr gebetet habt. Nonna und Grosspapa schlossen die Augen, rückten den Rosenkranz und falteten die Hände. Ich habe erst später verstanden, worum es da eigentlich ging, damals fand ich diesen mystischen Moment, wenn ich neben euch auf der Holzbank sass und es nach Weihrauch und Wachskerzen roch, einfach nur faszinierend.
Mit dem Rollstuhl ausgebüxst
Ihr habt ein Leben lang gearbeitet, Nonna als italienische Gastarbeiterin der Nachkriegszeit, Grosspapa als Gärtner aus dem Lötschental. Ihr habt viel Leid erlebt, euch aber immer wieder aufgerafft, zusammengehalten und euch an den kleinen Dingen eures bescheidenen Lebens gefreut. Ihr seid allen respektvoll und freundlich begegnet. Ihr habt mich Bodenständigkeit und Genügsamkeit gelehrt, aber auch die Liebe zur Familie und den unbändigen Arbeitseifer habe ich von euch.
Lange seid ihr gesund und unabhängig gewesen, bevor ihr euch dann beide langsam und schleichend verabschiedet habt. Zuerst war es nur der Zucker, der vergessen ging, dann die Schlüssel, dann der Heimweg. Der Mantel des Vergessens hat sich immer mehr um euch geschlungen, die Demenz war irgendwann Realität. Die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit aber blieben, bis zum Schluss. Ich erinnere mich, wie eure Augen jeweils leuchteten, wenn ich euch im Altersheim besuchte. Einmal sind wir sogar mit dem Rollstuhl aus dem Altersheim ausgebüxt, um auf Friedhofsbesuch zu gehen. Ich wusste, das lag euch immer sehr am Herzen, alleine konntet ihr aber nicht mehr dort hin. Wir waren damals mehr als Grosseltern und Enkel, wir waren «Partner in Crime».
Heute, mittlerweile selber Mutter, denke ich gerne und oft an die unbeschwerte Zeit mit euch zurück und freue mich, dass meine beiden Buben mindestens genauso liebevolle Grosseltern haben wie ich damals. •