Patti Basler über ihre Grossmutter

Die Liebe zu gereimten Ungereimtheiten habe sie ihrem Grosi zu verdanken, schreibt die Bühnenpoetin Patti Basler in diesem Brief an die Grossmutter. Eine grosse Liebeserklärung.

«Gib mir die Hand», sagtest du, «ich sage dir wahr, auf dem Kopf hast du Haar, im Rücken ein Kreuz und in der Hand einen Speuz!» In diesem Moment spucktest du mir tatsächlich schelmisch lachend in die Hand. Überhaupt schienst du für jede Situation den richtigen Spruch zu wissen.
Du erzähltest in Reimen vom Kätzchen, das gestohlen hatte und nun ertränkt werden sollte, doch im letzten Moment gerettet wurde von einer treuherzigen Kinderseele. Du wusstest, wie man mit Müllers Kuh den Esel auszählt. Und du liessest unsere Kinderherzen erschauern, wenn du die Ballade vom Gewitter rezitiertest. Urahne, Grossmutter, Mutter und Kind freuen sich auf morgen, draussen grollt der Donner, doch jede Strophe endet mit dem freudigen Ausruf: «Morgen ist Feiertag!» Selbst die letzte:

«Urahne, Grossmutter, Mutter und Kind
Vom Strahl miteinander getroffen sind,
Vier Leben endet ein Schlag
Und morgen ist Feiertag.»

An Sonntagen begleitete ich dich in die Kirche, nachdem ich dein Puch-Maxi-Töffli geputzt hatte. Da die Eltern auch feiertags auf dem Bauernhof arbeiteten, warst du für die religiöse Erziehung zuständig. Als der Grossvati noch gelebt hatte, war er jeweils mit uns Mädchen an der Hand ins Dorf marschiert, um Wirtschaftskunde zu betreiben. In der kleinen Einlegerwohnung, dem Stöckli, stand immer eine Flasche saurer Most im Kühlschrank, von dem wir Kinder heimlich stibitzten. Der Most blieb, auch nachdem Grossvati gestorben war. Das Stibitzen ebenfalls. Ein Mehrgenerationenhaushalt wie zu Gotthelfs Zeiten. Nur dass die Modernität einen entscheidenden Vorteil hatte: Der Fernseher stand in deiner Wohnung, wir hatten keinen. Da wir abends ohnehin unter deiner Obhut standen, passte das wunderbar. Nur mussten wir dann und wann in der Programmzeitschrift mit Tipp-Ex dein geliebtes Aktenzeichen xy überpinseln, damit wir ungestört unsere Teenie-Tanzfilme gucken konnten.

Langsamer Abschied
Du hast mir vieles beigebracht: Den Umgang mit Tieren, Garten- und Feldarbeit, die Liebe zu Reimen und Sprüchen. Du warst da. Für deine Söhne und Enkelkinder.
Es war kein Blitz, der dich traf. Langsam und stetig hast du dich vom Leben verabschiedet. Der jahrelange, zähe Kampf um ein gutes Leben setzte sich im jahrelangen Kampf mit dem Sterben fort. Zuerst waren es nur Kleinigkeiten. Du erzähltest zum Beispiel, wie du in jüngeren Jahren den Pfarrer geohrfeigt hättest. Reines Wunschdenken. In Wirklichkeit hattest du damals keine Möglichkeit, dich für die Schläge zu rächen, welche der Kirchenmann zur Züchtigung deiner Söhne eingesetzt hatte.
Dann fandest du dein Geld nicht mehr. Oder dein Gebiss. Bei aller Tragik war das auch komisch. Dass eine fortschreitende Demenz daran Schuld war, ahntest du nicht. Die Schuld suchtest du bei mir, sahst oft mehr ein Ekel als eine Enkelin. Ein Teufel sei ich, ich hätte gestohlen wie das Kätzchen, welches man hätte ertränken müssen. Ich weinte heisse Kindertränen über diese vermeintliche Ungerechtigkeit. Bald jedoch weinte ich nicht mehr um mich, sondern um dich. Und um meine Mutter, deine Schwiegertochter, die dich bis zum Schluss aufopferungsvoll zu Hause pflegte. Heute ist sie selbst Grossmutter, im Stöckli des Mehrgenerationenhaushalts mit dem einzigen Fernseher. Das ist für Digital-Native-Enkel nicht mehr so interessant.
In die Hand habe ich nie jemandem gespuckt. Nicht einmal dem Pfarrer, den du grossartigerweise dann tatsächlich mit Schimpf und Schande wegschicktest, als er dir eine letzte Hostie bringen wollte. Doch die Liebe zu gereimten Ungereimtheiten habe ich zu meinem Beruf gemacht. Esel auszählen ist mein Steckenpferd. Danke dafür, liebes Grosi.
Ich proste dir zu mit einem kühlen Most in der Hand.
Morgen ist Feiertag.
Deine Enkelin Patti •

Patti Basler ist Bühnenpoetin, Kabarettistin, Autorin und Trägerin des Salzburger Stiers 2019. Viele kennen sie als bissige Protokollantin der SRF-Sendung Arena. Aktuell touren sie und ihr Bühnenpartner Philippe Kuhn mit ihrem zweiten abendfüllenden Bühnenprogramm «Nachsitzen» durch die Schweiz. pattibasler.ch

Von Patti Basler (Text und Fotos)

2 Gedanken zu „Patti Basler über ihre Grossmutter

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