Ratgeber über Ratgeber, überall

François Höpflinger (70)
ist in selbstständiger Forschung und Beratung zu Alters- und Generationenfragen tätig. Nebst seinen wissenschaftlichen Arbeiten schrieb der Soziologieprofessor auch diverse Kurzgeschichten,
Satiren und Fabeln. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und vier Enkelkinder.

Kürzlich besuchte ich eine der wenigen noch überlebenden Buchhandlungen. Beim Schlendern zwischen den Buchregalen fielen mir zwei Sachverhalte auf: Erstens werden massenweise Krimis und Thriller aus aller Welt publiziert (Mord und Totschlag ist in). Zweitens füllen Ratgeber- und Do-it-yourself-Bücher ganze Regale. Ratgeber existieren in einer verunsicherten Gesellschaft zu allen wichtigen Lebensfragen, von der richtigen Kindererziehung (und dem adäquaten Umgang von Teenager mit digitalen Medien) über finanzielle Tipps bis hin zu Ratschlägen für ein gesundes Leben und erfolgreiches Alter. Dazu kommen noch massenweise Kochbücher und Bildbände zur idealen Gartengestaltung und Katzenhaltung. Kurz und gut: Es gibt keinen Bereich des Lebens, wo nicht Experten detailliert erklären, wie man es richtig beziehungsweise besser machen kann, etwa um Kinder, Enkelkinder, Ehepartner und Eltern zu perfekten Menschen zu erziehen oder um möglichst lange gesund zu leben und selbstbestimmt vom Leben Abschied zu nehmen (wichtigster Tipp für ein genetisch fundiertes langes Leben: «Wählen Sie Ihre Eltern sorgfältig aus»?).
Meine Neugierde war geweckt, also ging ich der Sache nach. Tatsächlich hat die Ratgeberliteratur eine lange Tradition. Vor allem Eheratgeber gibt es schon seit Jahrhunderten, primär gerichtet an Frauen, die auf ihre Pflichten zur häuslichen Ordnung, zur sauberen Säuglingspflege und zur sorgfältigen Gestaltung der ehelichen Harmonie angemahnt wurden. Nur ein Eheratgeber in Gedichtform aus den 1940er- Jahren richtete sich klar an Ehemänner («Man knallt als wahrer Kavalier nur selten mit der Zimmertür», «Als Kenner ihrer Tränendrüse rühmt er begeistert das Gemüse» oder «Mit Frau und Hündchen spricht man leise, mit Zuckerbrot regiert der Weise»).
Eine lange Tradition haben auch Erziehungsratgeber, wobei alle fünf Jahre neue Erziehungstipps im Spannungsfeld von autoritärer und antiautoritärer Erziehung angepriesen werden. Neuer sind Ratgeber zu Gesundheit, Fitness und Schönheit (gesund, schön und fit mit allen Tricks). Und wurde man früher einfach alt, gilt es heute als ideal, aktiv, erfolgreich und gesund alt zu werden beziehungsweise ewig jung zu bleiben.
Immer mehr der Gesundheits- und Lebensratgeber werden heute digital angeboten. Via Schrittzähler kann man täglich feststellen, ob man die vorgeschriebene Anzahl Schritte erreicht hat oder nicht. Das vorgesetzte Essen kann punktgenau auf Kalorienmenge gemessen werden und via Happy-Meter kann man jederzeit sein psychisches Glück erfassen (und etwa feststellen, wie glücklich man ist, wenn der Chef vorbeischaut und wie, wenn er wieder geht). Die digitale Kochapplikation vermittelt nicht nur Kochrezepte, sondern bestellt die gewünschten Zutaten direkt elektronisch. Noch zu erfinden ist der Oma- oder Opa-Meter, der zur Optimierung der Grosseltern-Enkelkind-Beziehung beiträgt. Was mir zudem persönlich noch fehlt, ist eine digitale Applikation zur Vermeidung von Ratgebern.•