Theatertipp und Erinnerungen

Heidi Diggelmann spielt im Stück «Unsere Seelen bei Nacht» eine verwitwete Grossmutter. Für «Grosseltern» erinnert sich die Grande Dame des Schweizer Theaters an ihre eigene Familiengeschichte.

Szenische Lesung mit Heidi Diggelmann (als Eli) und Heiner Hitz (als Louis).

Heidi Diggelmann ist eine der Grandes Dames des Schweizer Theaters. Ihr ganzes Erwachsenenleben hat sie in irgendeiner Form der Schauspielerei und der Kunst gewidmet. Das sind viele Jahre. Denn Heidi Diggelmann ist mittlerweile 88 Jahre alt und überzeugt mit einer unglaublichen Präsenz und Ausstrahlung. So auch in ihrem aktuellen Stück «Unsere Seelen bei Nacht», wo sie in die Rolle von Eli schlüpft. Eli ist über 70, Mutter, Grossmutter und verwitwet. Eines Abends klingelt Eli bei ihrem Nachbarn Louis, ebenfalls über 70 und verwitwet: Ob sie nicht ab und zu die Nacht zusammen verbringen wollen? Es geht nicht um Sex, sondern um Nähe und Geborgenheit. Egal, was andere Menschen denken, sie wollen sich ihr Glück dadurch nicht verderben lassen. Oder doch? Ein berührender Theaterabend über zweite Chancen, die Freiheit des Alters. Und die Gefühle einer Mutter, Grossmutter und einer Frau.
Für uns taucht Heidi Diggelmann in ihre eigene Familiengeschichte ein, blättert durchs private Fotoalbum und erinnert sich an ihre Grossmütter, die ihr beide wichtig waren. ~cap

Heidi Diggelmann (Text)

«Meine Grossmütter waren total unterschiedlich, aber ich wüsste nicht, welche mir näher stand. Es waren die 1940er-Jahre, also während und knapp nach dem Krieg. Die eine hiess Grosi und war eine zierliche kleine Frau. Da ihr Mann, Lokomotiv­führer, wegen eines Unfalls am Fuss frühzeitig pensioniert wurde, erledigte er fast den ganzen Haushalt, auf jeden Fall kaufte er ein und kochte jeden Mittag. Sie wohnten in unmittelbarer Nähe von uns, quasi über der Strasse. Wir besuchten sie oft und spielten diverse Kartenspiele mit ihnen. Sie hatten auch eine grosse Sammlung von Ansichtskarten, die wir jeweils mit ihnen durchsahen. Meine Mutter fand unsere zahlreichen Besuche übertrieben, sie hätte am Abend ihre Familie lieber allein um sich versammelt. Ich denke, das ergab sich ja dann von selbst, je grösser wir wurden. Wir hatten Schulaufgaben, mussten Klavier üben und hatten unsere Nachbarskinder zum Spielen. An Weihnachten bekamen wir immer viel Selbstgestricktes, Socken, Strümpfe, sehr schöne Mützen etc.
Ich könnte gar nicht entscheiden, welche Grossmutter mir lieber war. Beide waren sehr lieb zu uns, und zu dieser Zeit zeigte man seine Gefühle nicht sehr offen. Ich kann mich auch kaum an Körperkontakt oder Liebesbezeugungen meiner Eltern erinnern. Es war alles sehr lieb gemeint, aber ziemlich nüchtern.
Meine andere Grossmutter, die Mutter meiner Mami, war eine lustige, eher dicke Frau aus der französischen Schweiz. Sie sprach Französisch und Deutsch und war als junge Frau Köchin. Wir verbrachten die meisten unserer Ferien in der ‹Villa Les Glycines›. Die Glyzinien blieben meine Lieblingsblumen, und ich freute mich sehr, als ich 50 Jahre später in Zürich in ein Haus voller Glyzinien einziehen konnte. Eine wunderbare emotionale Erinnerung an ‹Jala›, wie ich sie taufte, da sie immer ‹voilà-voilà› sagte. Der Name Jala, den ich ihr gegeben hatte, blieb ihr, alle nannten sie so.
Wie gesagt, sie war eine originelle, lustige Frau. Im Dorf, an der französischen Grenze, kannte sie jede:r. Und an der Escalade, einem Fest, das im Dezember im Kanton Genf gefeiert wird, ein bisschen wie Fasnacht, verkleidete sie sich noch als Schulmädchen, zur Freude des ganzen Dorfes.
Sie kochte wunderbare Soupe à légumes und viele Speisen mit Kürbis, salzige und süsse. Kürbis kannte man in Zürich noch nicht, auch viele andere Gemüse gab es nur im Gemüsegarten von Jala. Sie hatte auch Hühner und Kaninchen und einen wunderschönen ‹Verger›, einen Garten mit Nussbäumen. Ein Paradies für uns.
Im Haus lebten wir vor allem in der Küche mit dem grossen Holz­ofen. Aber wenn wir besonders brav waren, liess sie uns die anderen Zimmer mit Buffet und schönem Porzellangeschirr bewundern. Auch das moderne Badezimmer durften wir manchmal benützen.
Ihrem Mann, unserem Pépé, kamen wir nie richtig nah, er las jeden Tag am Fenster im ‹gelben Heftli› und starb sehr früh. Ich sehe ihn jetzt noch, wie er in seinem Bett lag. Er war der erste Tote, den ich in meinem Leben gesehen habe. Und er hat mir grossen Eindruck gemacht.» •

„Unsere Seelen bei Nacht“, Christian Vetsch (Regie), mit Heidi Diggelmann, Heiner Hitz und Max Lässer (Musik)
Spieldaten und -orte:

Wohlen, Sa, 9. Nov, 20 Uhr, sternensaal-wohlen.ch
Basel, Do, 14. Nov, 20 Uhr, fauteuil.ch
Turgi, So, 17. Nov, 16 Uhr, kulturgi.ch
Werdenberg, Do, 21. Nov, 20 Uhr, fabriggli.ch
Pfäffikon ZH, Mo, 25. Nov, 20 Uhr, kinorex.ch
Zollikon, Mi, 27. Nov, 19.45 Uhr, kulturkreiszollikon.ch
Murten, Fr, 29. Nov, 20.15 Uhr, kellertheatermurten.ch
Zürich, Mi, 4. Dez, 19.30 Uhr, theaterhechtplatz.ch