Toni Vescoli: «Der Vater prügelte uns»

Toni Vescoli (77) kennt seine Grosseltern nur aus Erzählungen und auch im Leben seiner Kinder spielten die Grosseltern keine grosse Rolle. Umso mehr geniessen seine Ehefrau Ruth und er es, für ihren Enkel Vincent (23) da zu sein.

Von MELANIE BORTER (Aufzeichnung)

Toni Vescoli (77), der Gründer und Band­leader von «Les Sauterelles», ist auch mit 77 Jahren nicht zu bremsen. Sein neues Album heisst «Gääle Mond» und erscheint am 12. April 2019. www.vescoli.ch

Erinnerungen an meine Grosseltern habe ich keine. Wie auch? Meine Eltern waren beide die Jüngsten ihrer Familien und ich selbst bin mit sieben Jahren Abstand ebenfalls der Jüngste. So habe ich meine Grosseltern gar nie kennengelernt. Aus Erzählungen weiss ich aber, mein Vater hatte es gar nicht leicht als Kind. Seine leibliche Mutter starb, als er noch ganz klein war, seine Stiefmutter, die eigene Kinder mit in die Ehe brachte, behandelte ihn dann so, wie man es aus alten Märchen kennt. Sie war eine böse Stiefmutter, die ihre eigenen Kinder bevorzugte. Ich finde, man sieht auf dem Foto, dass sie eine verbitterte Frau war. Die leibliche Mutter wirkt auf dem Foto, das sie und meinen Vater zeigt, doch ganz anders, viel freundlicher und lieb. Unsere Tochter Nathalie sieht ihrer Urgrossmutter übrigens sehr ähnlich.

Die Grosseltern väterlicherseits mit Toni Vescolis Vater (vorne rechts), um 1912.

Wenn mein Vater von der Schule nach Hause kam, musste er im Wald Holz und Reisig sammeln – barfuss, weil Schuhe ja so teuer waren. Immer wenn er nicht genug Brennholz nach Hause brachte, musste er ohne Nachtessen ins Bett. Das erzählte er natürlich nicht mir persönlich – mein Vater war ein Patriarch, der solche Sachen nie seinen Kindern erzählt hätte –, aber meiner Mutter berichtete er das, von ihr weiss ich das alles. Mit 14 Jahren durfte mein Vater nicht weiter zur Schule, sondern musste in einer Fabrik arbeiten. Mit 16 begann er dann doch noch eine Lehre als Maurer. Bereits nach einem Jahr meldete er sich zur Lehrabschlussprüfung an und bestand diese auch. Er war gescheit, später studierte er an der Technikschule in Winterthur Bauingenieur. Meine Verwandten väterlicherseits waren alle Baufachleute. Jene mütterlicherseits waren hingegen alle Künstler: Musiker, Kunstmaler und ein Bariton-Sänger. Ich habe von beiden Seiten geerbt: Gelernt habe ich Hochbauzeichner, weil ich ursprünglich Architekt werden wollte.


Seine leibliche Grossmutter habe mit seiner Tochter Nathalie Ähnlichkeit, sagt Toni Vescoli.

Meine Mutter war sehr fürsorglich mit uns Kindern, eine ganz liebe Person. Der Vater aber prügelte uns. Das war schlimm. Das Geschlagenwerden war damals nichts besonders: Auch meine Frau Ruthli wurde als Kind verprügelt. Wir beide schlugen unsere Kinder nie, wir haben diese «Tradition» unterbrochen. Unsere Kinder hatten keine Beziehung zu ihren Grosseltern. Als ich das erste Mal mit Ruthli und ihren damals sechs und acht Jahre alten Kindern Carmen und Kari bei meinen Eltern zum Essen war und Kari etwas nicht essen wollte, holte mein Vater mit der Kelle aus. Da stand ich auf und sagte: «Komm Ruthli, wir gehen.» Jahre später besuchten wir meine Eltern zwar ab und zu wieder mit den Kindern, der Vater blieb dann aber meist im Garten. Erst als meine Mutter schon verstorben war, habe ich mich mit ihm versöhnt.

Ruthli und ich, wir haben eine Beziehung zu unserem Enkel Vincent (23). Erst kürzlich war er zwölf Tage bei uns in Teneriffa in den Ferien. Und wenn wir in der Schweiz sind, kommt er sonntags oft zu uns zum Brunch – wir essen dann immer erst um ein oder zwei Uhr. Ob er stolz auf den berühmten Grossvater ist? Er ist ein sehr Diskreter, redet nicht gross davon. Aber er kommt ab und zu an Konzerte, das freut mich. Das ist schön. Aber da sind wir ja keine Ausnahme, die heutigen Grosseltern sind ja alle engagiert. Oder wie ich es in meinen Song «Top-fit» formuliere: «Die neue Alte, sind chuum meh z’halte. Härt wie Granit, und top-fit.» In meinem Alter darf ich mir diese Ironie leisten, ohne von den «grauen Panthern» zerfleischt zu werden. Ich bin doch froh, dass so viele von uns noch so fit sind.

Die Grosseltern mütterlicherseits mit Toni Vescolis Mutter Alice Huber
(in weiss), um 1919.

Manchmal denke ich, es ist schon schade, dass ich meine Grosseltern nicht gekannt habe. Und keine solche Bezugspersonen hatte. Obwohl … meine Tante, die zehn Jahre älter war als meine Mutter, sie war für mich eine Art Ersatzgrossmutter. Wir Kinder nannten sie alle Gotti. Obwohl sie sehr religiös war, war sie sehr tolerant. Viele bezeichneten meine Musik damals als Teufelsmusik, gerade die Religiösen, sie aber sagte nie etwas dergleichen. Sie unterstützte mich immer.»•