Pepe Lienhards Grosseltern betrieben einen Bauernhof am Bielersee. Sie arbeiteten von früh bis spät und lebten ein äusserst bescheidenes Leben.
Von KARIN DEHMER (Aufzeichnung)
Die Eltern meines Vaters habe ich nie kennengelernt. Vater war bei meiner Geburt bereits 40 Jahre alt und er war das jüngste von zehn Geschwistern, seine Eltern waren also bereits gestorben, als ich zur Welt kam. An meine Grosseltern mütterlicherseits erinnere ich mich allerdings gut. Sie betrieben einen kleinen Bauernhof in Täuffelen am Bielersee. Vermutlich waren sie damals so alt, wie ich jetzt bin, aber sie kamen mir uralt vor. Beide hatten schneeweisse Haare und ihre Körper waren von der lebenslangen schweren Arbeit gezeichnet.
Meine Schwester und ich verbrachten jeweils die Sommerferien bei ihnen. Es war aber nicht so, dass die Grosseltern sich um uns gekümmert hätten während dieser Zeit. Sie mussten ja arbeiten. Sie arbeiteten immer. Sie hatten weder Zeit noch Energie für Ausflüge, Spiele oder andere Frivolitäten.
WIR GENOSSEN DIE ZEIT OHNE AUFSICHT
Meine Schwester und ich genossen die Zeit und das grundeinfache Leben auf dem Hof. Wir konnten herumtollen, wo und wie wir wollten. Es gab ein Pferd, Kühe, das grosse Tenn mit dem Heustock darin und dahinter eine kleine Weide. Wir mussten nie mit anpacken, nur kleine Arbeiten wie abwaschen oder so erledigen. Ohne Aufsicht verbrachten wir also die Tage mit den Tieren und auf den Feldern und natürlich am Ufer des Bielersees. Ich war damals noch klein, zwischen fünf und zehn Jahren vielleicht. Damals machte niemand ein «Gstürm», weil wir alleine am Wasser spielten.
Wenn wir jeweils in Täuffelen ankamen, rannte ich immer zuerst in den Stall zu den Tieren, vor allem zum Pferd. Grossvater ging mit ihm jeweils ins Moor hinaus zum Torfstechen. Abends, wenn die beiden zurückkamen, soff das durstige Pferd erst am Brunnen vor dem Haus und rannte danach im Galopp durchs Tenn und hinten hinaus auf die Weide. Da mussten wir immer aufpassen und zur Seite stehen.
WAND AN WAND MIT DER KRANKEN KUH
Das Wohnhaus und der Stall waren unter demselben Dach. Überall roch es nach Tieren. Einmal war eine Kuh krank im Stall. Ich lag im Bett und hörte sie die ganze Nacht jammern nebenan. Auf die Toilette musste man ins Freie, dort gab es einen Abort. Meine Schwester und ich wuchsen in einem schönen Haus in Lenzburg auf. Wir hatten einen gepflegten Garten, alles war sauber und luxuriös im Vergleich zum Leben meiner Grosseltern, dennoch empfanden wir ihr Leben nicht als mangelhaft.
Am Morgen melkten die Grosseltern ihre Kühe von Hand und vom Stall ging’s dann weiter, hinaus aufs Feld. Am Abend gingen sie früh zu Bett. Sie hatten kein Radio, geschweige denn einen Plattenspieler. Man sass noch etwas zusammen, plauderte ein wenig, worüber weiss ich nicht mehr. Aber selbst dann hat Grossmutter noch gearbeitet: Sie schlug den Rahm zu Butter. Ich erinnere mich an das Geräusch des Schwingbesens in der Schüssel. Sie hielt sie an die Brust gepresst, ging damit in der Stube auf und ab und schlug so den Rahm.
Als ich etwa zehn war, ist Grossvater gestorben, Grossmuetti lebte dann noch ein paar Jahre bei uns in Lenzburg, still und leise. Sie half meiner Mutter beim Abwaschen und Kochen, sass auf dem Sofa und strickte. Ich weiss nicht, worüber sie die ganze Zeit nachdachte, und ich erinnere mich auch nicht, dass sie uns je in die Stadt begleitet hätte. Sie war eine liebe, sanfte Person. Mein Grossvater hingegen war ein strenger Mann, wenn auch nie zu uns Kindern. Meine Mutter erzählte, wie er früher neben dem Bauerndasein noch ein Zubrot als Sattler verdient hatte und von denen, die noch weniger hatten als er selbst, jeweils nichts verlangte fürs Flicken ihres Zaumzeugs. Also muss auch er das Herz auf dem rechten Fleck gehabt haben.•
Aus dem Grosseltern-Magazin 09/2018