Brigitte Trümpy hat vor 10 Jahren ihren Enkel Till verloren. Er starb an einem Hirntumor. Heute steht Brigitte Trümpy anderen betroffenen Grosseltern bei. Und hat ein Buch über ihren Enkel geschrieben. Jetzt wurde Sie in Glarus von der Bevölkerung zur “Glarnerin des Jahres 2020” gewählt. Wir gratulieren ganz herzlich und haben zu diesem Anlass aus unserer allerersten Ausgabe des Grosseltern-Magazins das Portrait über Brigitte Trümpy auf der Website aufgeschaltet.
«Der kleine Mann
hat Krebs.»
An Weihnachten 2006 kam die Diagnose, dass Till Krebs hat. Gerade mal siebenjährig war er da. Über ihm und seiner Familie brach eine Welt zusammen.
Tills Mutter Kerstin Birkeland Ackermann verschickte ein Rundschreiben an alle Bekannten: «Till hat einen Hirntumor. Wir schaffen das nicht allein und brauchen eure Hilfe!» Von da an informierte sie darüber, wie es Till geht und was passiert, wenn man plötzlich auf dem «Planeten Onko» ausgesetzt wird.
Anfangs wusste Tills Grossmutter Brigitte Trümpy nicht, was sie von der Initiative ihrer Tochter halten sollte, die nicht nur Bekannte mit einbezog ins Familienleid. Die Till-Mails zogen immer weitere Kreise und erreichten schliesslich 150 Menschen aus der ganzen Schweiz. Kerstin begann, gezielt um Hilfe zu fragen, und teilte mit, was sie benötigt und was sie nicht braucht. Sie stellte Pläne auf, in denen sie die Zeiten von Tills Bestrahlungen im Kinderspital notierte und die Fahrten, die sie und ihr Mann Simon von ihrem Wohnort Dielsdorf aus nicht selber bewältigen konnten. Die Fahrdienste wurden alle geleistet, und auch immer wieder andere kleine Hilfsdienste.
«Es ist normal, dass du haderst,
verzweifelt und wütend bist.
Aber irgendwann musst du
einen Schritt weiter kommen.»
«Für uns war das Überlebenshilfe», sagt die heute 64-jährige Grossmutter Brigitte Trümpy. Weil das Schreckliche auf mehrere Schultern verteilt werden konnte. Das Solidaritätsnetz trug. «Jeder Mensch, der da war für uns, war ein Geschenk», sagt sie dankbar. So dass für sie heute ganz klar ist, dass der mutige Schritt ihrer Tochter an die Öffentlichkeit richtig war: «Ich habe ganz viel gelernt von ihr.»
Nun betritt Brigitte Trümpy selber die Bühne der Öffentlichkeit. Ihr Buch «Sternenkind. Wie Till seinen Himmel fand» ist eben im Wörterseh-Verlag erschienen. «Ich hoffe, dass ich durch mein Buch auch eine Plattform bekommen werde für die Anliegen von betroffenen Familien», sagt die Autorin. «Dass ich meine Bitte an die Menschen, einander nicht alleine zu lassen, wenn die Stürme des Lebens kommen, in die Welt hinaus schicken kann.»
Ein Sturm tobt auch über dem blumenbewachsenen Garten vor dem Haus von Brigitte Trümpy im Glarner Dorf Netstal, während sie über die vier Jahre der Krankheit ihres Enkels berichtet. Dutzende Chemotherapien und über 70 Bestrahlungen liess ihr «kleiner Mann», wie sie Till liebevoll nennt, über sich ergehen. «Bis zum Punkt, an dem wir unendlich dankbar waren, dass er seinen Körper verlassen durfte.» Die aggressiven Behandlungen hatten alles kaputt gemacht – ausser den Krebs.
Der Satz «Till hat Krebs», nahm Brigitte Trümpy die ganzen vier Jahre vollkommen gefangen. Die Welt um sie herum wurde grau. Tills Hirntumor war wie ein Monster, das sich über ihr und der Familie erhob. «Keiner wusste, wie es ausgeht. Mit dieser Angst zu leben, jahrelang …» In die Angst mischten sich Wut, Zorn und Bitterkeit.
«Dass unser kleiner Mann wohl würde sterben müssen, fand ich so fürchterlich! Wenn schon, dann wäre doch ich dran. Aber sicher nicht Till!» In der ersten Zeit nach der Diagnose ertrug Brigitte Trümpy den Anblick gesunder Kinder kaum noch. Warum er? Ausgerechnet ihr sanfter, lieber Till?
Unterdessen ist wieder Ruhe eingekehrt in Brigitte Trümpys Leben. «Es ist normal, dass du haderst, verzweifelt und wütend bist. Aber irgendwann musst du einen Schritt weiter kommen», sagt die 64-Jährige heute, da die schwersten Stürme vorbei sind. Trümpy hat einen grossen Frieden gefunden, verbunden mit einer noch grösseren Dankbarkeit. Dazu kommt eine wahnsinnige Kraft, die sie vorwärts treibt – nicht nur als Schriftstellerin.
Schon vor einiger Zeit hat Brigitte Trümpy die Sternenkinder-Grosseltern-Vereinigung gegründet. «Es ist eine der grössten Herausforderungen für Grosseltern, ein Enkelkind durch eine schwere, akute oder chronische Krankheit oder vielleicht sogar in den Tod begleiten zu müssen», sagt die Grossmutter. Ihre Vereinigung ist Anlaufstelle für Betroffene, aber auch für Fachstellen und Fachleute. Brigitte Trümpy steht «Sturmfamilien» und «Sturmgrosseltern» bei, wie sie die Betroffenen nennt. Indem sie Briefe und Mails schreibt, telefoniert, die Menschen trifft, ihnen zuhört, Trost spendet, beisteht. Mit der Sternenkinder-Vereinigung hat sie viel Echo ausgelöst. Fachstellen wie die Kinderkrebs-Hilfen in der Schweiz, in Deutschland und Österreich, Elternhilfen oder Kinderhospize danken ihr, dass sie auch den Grosseltern eine Stimme verleiht. «Weil wir doppelt trauern. Wir tragen nicht nur den eigenen Schmerz des kranken Enkels mit, sondern auch das grosse Leid von Mama und Papa.»
«Till ist zu unserem Lehrer geworden.
Weil er seine Krankheit
angenommen
und nie gehadert hat.»
Dabei, und das sei wie ein Wunder, sei es am Schluss Till gewesen, der sie getröstet habe. «Till ist zu unserem Lehrer geworden. Weil er seine Krankheit angenommen und nie gehadert hat.» Der kleine Mann habe jeden Tag das gemacht, was möglich gewesen sei. Wenn es ihm schlecht ging, sei er halt auf der Matratze gelegen und habe nichts gemacht. Schliesslich sei ihr Enkel sogar religiös geworden, habe sich eine Kinderbibel gekauft und der Familie kundgetan, dass er mit Gott spreche. Hoppla!, dachte seine Familie. Weil Till nicht speziell religiös erzogen worden war. Auch in andere Religionen vertiefte er sich. Etwa in den Glauben der Inuits, des Volks in Grönland, dessen Draht zur Anderswelt es ihm besonders angetan hatte. «Irgendwann hat er eine Verbindung geschaffen zu etwas. Wie wenn er mit einem Fuss schon am anderen Ort gestanden hätte. Er hatte keine Angst, weil er sicher war, dass es ein guter Ort ist.» Brigitte Trümpy hält kurz inne, senkt den Blick. «Das war überwältigend.» Diese Sicherheit des kleinen Mannes hat schliesslich auch ihr eine neue Welt eröffnet.
«Eine Spur voller Licht, Hoffnung, Wärme und Liebe» habe sich seither aufgetan in ihrem Leben. Heute ist sie sich sicher, dass Kindern die Tür zu einer anderen Welt offen steht, die bei den meisten Erwachsenen geschlossen ist. Auch Malin, Tills kleine Schwester, die keine Sekunde von der Seite ihres Bruders gewichen ist, kennt diese Welt. Till besuche sie immer wieder. «Du musst dich nicht fürchten. Ich bin bei dir», habe er seiner Schwester mitgeteilt, so Brigitte Trümpy. «Und ich hab ihr gesagt, sie solle ihm ausrichten, dass er auch mal bei mir vorbeischauen solle», sagt sie, «ich erwarte ihn im Gästezimmer.»
«Wie wenn er mit einem Fuss schon am
anderen Ort gestanden hätte.
Er hatte keine Angst, weil er
sicher war, dass
es ein guter
Ort ist.»
Nun ist Brigitte Trümpy schon unterwegs zu neuen Ufern. Zusammen mit anderen Frauen hat sie den Verein Sternentaler gegründet, mit dessen Hilfe sie Sturmfamilien unbürokratische und schnelle Hilfe leisten will. Indem zum Beispiel eine Haushaltshilfe bezahlt wird, wenn alles über einer Familie mit einem schwer kranken Kind zusammenbricht.
Oder eine Leselampe für ein fast blindes Kind, bei welcher die Invalidenkasse blockt. «Denn es gibt viele Menschen, die gerne etwas bezahlen würden für dringend nötige Hilfe», ist Brigitte Trümpy sicher. «Auf unserer Homepage berichten wir, wie wir die Spendengelder einsetzen.» Auch mit diesem neusten Projekt und mit ihrem Buch trägt Brigitte Trümpy Tills Vermächtnis weiter. Er sagte – angesichts der vielen Helfer, auf welche die Familie stets zählen durfte – zu seiner Mutter: «Gäll, Mami, die Schweiz ist das schönste Land der Welt. Hier gibt es nur gute Menschen!»
«Und da bleiben wir dran», sagt Brigitte Trümpy, «weil es stimmt.»
Von DANIELA SCHWEGLER (Text) und KERSTIN BIRKELAND, NICOLA PITARO (Fotos)