«Wie eine Seilschaft am Berg: Jeder gibt sein Bestes»

Von Eveline Rutz (Text) und Matthias Luggen (Fotos)

Dania Kambly mit ihrem Mann Nils und ihren Eltern Ursula und Oscar A. Kambly

Die Familie Kambly hat sich der Feinbäckerei und dem Emmental verschrieben. Bereits die vierte Generation führt das Geschäft: Dania und Nils Kambly fühlen sich den traditionellen Werten verpflichtet, reagieren aber auch auf den Zeitgeist.

Was macht ein gutes Guetzli aus? Diese Frage beschäftigte Dania Kambly bereits als Kind. Als eine der ersten kam sie jeweils in den Genuss, neue Sorten zu testen. «Meine Eltern brachten Muster nach Hause und liessen mich probieren», erzählt sie. «Sie interessierten sich dafür, was ich davon hielt.»
Dania Kambly ist als Einzelkind in Emmenmatt aufgewachsen. Die Nähe zur Natur und zur Landwirtschaft haben sie geprägt. «Ich hatte viele Freiheiten», sagt sie und berichtet von unbeschwerten Stunden mit den Nachbarskindern. Von ihren Eltern, Ursula und Oscar A. Kambly, hat sie vieles unbewusst aufgenommen und gelernt. So erhielt sie schon in jungen Jahren einen Eindruck davon, was es heisst, für ein Unternehmen mit mehreren hundert Angestellten verantwortlich zu sein. Als Jugendliche schnupperte sie in der Produktion und war beeindruckt, wie flink Mitarbeitende die Maschinen bedienten und etwa fehlerhaftes Gebäck aussortierten. Nach der Matur absolvierte sie ein Praktikum im Qualitätsmanagement. Sie habe sich dem Familienbetrieb von klein auf zugehörig gefühlt, sagt die 36-Jährige bei einer Tasse Tee. «Geschäftliche Sorgen haben meine Eltern aber nicht mit mir geteilt. Das haben sie grossartig gemacht.»

Inzwischen steht Dania Kambly selbst an der Spitze der Feinbäckerei. Vor zwei Jahren hat sie zusammen mit ihrem Mann Nils die Geschäftsleitung übernommen. Sie leitet die Unternehmensentwicklung, er wirkt als CEO. «Mein Mann ist das grössere Organisationstalent, er hat den Überblick», sagt sie. «Ich bin die Visionärin. Ich bin mit der Firma gross geworden und stosse neue Projekte an.» Kennengelernt hat sich das Paar an der ETH Lausanne, wo beide Physik studiert haben. Sie haben zwei Buben im Kleinkindalter.
«Ich bin mit offenen Armen empfangen worden», sagt Nils Kambly, der aus Essen (D) stammt. Im Emmental habe er eine einmalige Landschaft und liebevolle Menschen angetroffen; hier habe er eine neue Heimat gefunden. Die Firmenkultur von Kambly zeichne sich durch ein starkes Miteinander aus. «Wir haben Angestellte, die seit 45 Jahren bei uns arbeiten», sagt er. «Das ist in der heutigen Zeit nicht mehr selbstverständlich.»
Tatsächlich sind viele Familien im Tal seit Generationen mit dem Guetzli-Hersteller verbunden. Sei es, weil sie bei ihm arbeiten oder eine Ausbildung gemacht haben, sei es, weil sie ihm Rohstoffe liefern. Für die «Hausspezialitäten aus dem Emmental» werden ausschliesslich regionale Zutaten verwendet: Die Butter bezieht Kambly von der Dorfkäserei, das Mehl von der Dorfmühle und die Freilandeier von Bauernbetrieben in der Nähe. Das neue Führungsduo fühlt sich der Region denn auch verpflichtet. «Wir können hier einen Beitrag an die Gesellschaft leisten», sagt Dania Kambly. Es ist ihr wichtig, die Werte ihrer Vorfahren weiterzutragen: Den Respekt vor allen Menschen, vor allen Lebewesen und der Natur. Sie habe sich zu diesem Weg nie gedrängt gefühlt, betont sie. Im Gegenteil: Ihre Eltern hätten ihr geraten, ihren eigenen Interessen nachzugehen. «Mein Vater hat sehr früh Verantwortung gespürt und hat mir dies bewusst erspart.»
Freiheit sei das höchste Gut, sagen Ursula und Oscar A. Kambly. Sie haben daher auch andere Nachfolgeregelungen in Betracht gezogen. «Wir haben die Voraussetzungen geschaffen, damit sich Dania wirklich frei entscheiden kann.» Dass sie die Leitung innerhalb der Familie weitergeben konnten, erleben sie nun als «grosses Geschenk» und «Glücksfall, den man nicht planen kann».

Mit der Pandemie sah sich die vierte Generation gleich mit unerwarteten Herausforderungen konfrontiert. Zur Sorge um die Gesundheit der Mitarbeitenden kamen die Nachteile des Homeoffices, ein Degustationsverbot im Fabrikladen sowie Veränderungen bei den Lieferketten. «Da wir sehr langfristig planen und einkaufen, waren wir davon nicht stark betroffen», sagt Nils Kambly. Nur einmal musste eine Rezeptur, einmal eine Verpackung angepasst werden. Schlaflose Nächte hatten die neuen Chefs deswegen nicht. «Im Physikstudium haben wir gelernt, analytisch und strukturiert vorzugehen und beharrlich zu bleiben», sagt Dania Kambly.
Jede Zeit bringe Veränderungen mit sich, auf die man Antworten finden müsse. Dazu zählt auch, dass sich Essgewohnheiten ändern. Die Kundschaft ernährt sich bewusster als früher und legt zunehmend Wert auf Nachhaltigkeit. «Wir setzen uns nach Kräften ein, die ökologische, soziale und ökonomische Verantwortung wahrzunehmen», betont das Führungsduo. «So wollen wir zur Lebensqualität auch für künftige Generationen beitragen.» Die Feinbäckerei achtet unter anderem bei den Rohstoffen auf Nachhaltigkeitskriterien. Sie verwendet beispielsweise Schokolade, die das «Rainforest Alliance»-Label trägt. Dieses garantiert, dass der verwendete Kakao nachhaltig produziert worden ist. Palmöl hat die Firma aus fast allen Rezepturen eliminiert. Es ist noch in den Militärbiscuits enthalten, die drei Jahre haltbar sein müssen und seit 1959 in Trubschachen hergestellt werden. Den Trend zu veganer Ernährung nimmt Kambly mit der neuen Linie «bio & vegan» auf. Auch im traditionelleren Sortiment ist mit Innovationen zu rechnen, die den aktuellen Konsumentenbedürfnissen gerecht werden.
«Das Bedürfnis nach Premium-Produkten wächst weltweit», sagt Nils Kambly. Wie sein Schwiegervater will er den Export weiter ausbauen. Chancen sieht er insbesondere im asiatischen Markt, in den USA und Kanada. Aktuell erzielt das Unternehmen 46 Prozent seines Umsatzes im Ausland. Es exportiert in mehr als 50 Länder. «Die Vorlieben sind unterschiedlich», sagt Dania Kambly. Schokoladen-Guetzli werden in manchen Regionen nur schon aus klimatischen Gründen weniger häufig gekauft. Im arabischen Raum erfreuen sich stattdessen Mandel- und Nuss-Sorten grosser Beliebtheit.
Auch in der jungen Familie unterscheiden sich die Geschmäcker. Bei den zwei Buben stehen zurzeit die Goldfischli hoch im Kurs. «Zusammen mit Apfel-Schnitzen ergeben sie ein ideales Zvieri», sagt Dania Kambly. Wie schon ihre Mutter bringt sie ihren Kindern jeweils Muster der neusten Guetzli-Entwicklungen mit – «sie probieren natürlich gerne». Sonst haben die Jüngsten wenig Berührungspunkte mit dem Familienbetrieb. «Wir versuchen, Geschäft und Privatleben zu trennen», sagt Nils Kambly. «Die Kinder helfen uns dabei, zu Hause abzuschalten.»

Ursula und Oscar A. Kambly ziehen sich schrittweise zurück. Sie sind nach wie vor regelmässig in ihren Büros anzutreffen. Bei schönem Wetter gönnen sie sich aber auch mal einen Tag in der Natur. «Sie stehen uns beratend zur Seite und unterstützen uns nach Kräften», sagt Nils Kambly. «Sie tun dies mit grossem Respekt». Oscar A. Kambly wiederum schätzt das Engagement der neuen Führungscrew. «Es ist nicht selbstverständlich, dass junge Menschen bereit sind, eine solche Verantwortung zu tragen.» Unternehmerisch tätig zu sein, bedeute, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen – sie als Chance zu betrachten. Der Patron erwähnt die beiden Weltkriege, Phasen der Inflation, Umweltkrisen und geopolitischen Umwälzungen, die Kambly seit 1910 erlebt hat. Gerade in solchen Zeiten helfe es, dass man einander in einem Familienbetrieb vertrauen könne: «Wir kennen und schätzen einander. Wir sind wie eine Seilschaft, die auf den Berg geht; jeder gibt sein Bestes.»
Ursula Kambly ergänzt, dass es anspruchsvoll sei, ein Unternehmen zu führen und daneben eine Familie zu haben. «Wir haben das erlebt.» Vor allem auch dank ihrer Mutter war es der Chemikerin möglich, berufstätig zu bleiben. «Sie kümmerte sich regelmässig um Dania, wofür ich ihr unendlich dankbar bin.» Ursula Kambly tut es ihr heute gleich und betreut ihre beiden Enkel an einem Tag pro Woche. «Wir haben ein inniges Verhältnis», sagt sie. Die Grosseltern sind mit den Buben gerne in Bewegung und in der Natur unterwegs. Sie hoffen, dass ihre Enkel die zeitlosen Werte, die der Familie wichtig sind, ebenfalls weitertragen werden. «Wir wünschen ihnen die Freiheit, ihr Leben selbst planen und gestalten zu können.»•