«Wie lange bleibst du unser Grosi?»

Francine Hodler hat keine Enkelkinder, Amara und Tiffany keine Grosseltern in der Nähe. Die drei haben zusammengefunden und einander schätzen gelernt. Vermittlerin war die Caritas Bern.

Francine Hodler mit ihren nicht leiblichen Enkelinnen Amara und Tiffany.

Von SABINE BORN (Text)
und MATTHIAS LUGGEN (Fotos)

Eine ältere Frau, neben ihr eine Mutter mit ihren beiden Kindern – sie plaudern, gehen im Berner Kirchenfeldquartier das Trottoir entlang. Sie sind auf dem Weg ins Museum für Kommunikation, wo sie von einem Ausstellungshighlight zum andern pendeln werden. Die Kinder lachen, zanken, lassen sich zum Tête-à-Tête mit einem digitalen Gegenüber nieder, flanieren über den roten Museumsteppich, posieren für ein Spassfoto. Ein ganz normaler Familienausflug mit dem Grosi – so scheint es. Irgendwie ist das auch so, aber nur fast: Francine Hodler (69) ist nicht die Grossmutter von Tiffany und Amara. Sie ist ein Leihgrosi, eine wichtige Bezugsperson für die Kinder und deren Mutter.

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GEMEINSAME ZEIT GENIESSEN

Zusammengeführt hat das Quartett die Caritas Bern. «Mit mir» heisst das Patenschafts-Projekt der Hilfsorganisation, das Erwachsene und Kinder zusammenbringt, wenn Erstere Zeit und Freude zu bieten haben, Letztere in schwierigen Situationen gefangen sind. Tiffanys und Amaras Mutter Elke Bergius ist alleinerziehend, der Vater wenig präsent, Grosseltern und Verwandte leben nicht in der Schweiz. Da ist es zuweilen schwierig, alles unter einen Hut zu bringen: Der Job als Biologin verlangt der Mutter einerseits viel ab, auf der anderen Seite sind da Kindergartenfeste, Spielnachmittage oder Fahrdienste zu organisieren. Elterngespräche stehen an, Hausaufgaben müssen beaufsichtigt werden, auch der Haushalt fordert den Einsatz der Mutter. Und die wenigen Momente, die übrig bleiben, möchten Mutter und Kinder geniessen. Francine Hodler hilft die grosse Belastung der Mutter zumindest ein bisschen zu mildern. Zum Beispiel letzten Sommer, als Tiffany in die siebte Klasse kam: Der Übertritt in die Oberstufe erforderte einen Schulhaus- und Klassenwechsel. Ein wichtiger Schritt, der zu zweit etwas leichter fällt, weiss Francine Hodler: «Ich habe Tiffany begleitet, als moralische Unterstützung, um ihr Mut zu machen», erzählt Francine Hodler. Sie verbringt ansonsten vor allem Freizeit mit den Kindern – mal mit, mal ohne die Mutter. Mal regemässig, mal unregelmässig. Im Schnitt sehen sie sich etwa alle zwei Wochen, in den Ferien weniger. Francine Hodler plant dann zum Beispiel einen Spielnachmittag im Berner Rosengarten, einen Besuch im Tierpark Dählhölzi, einen Bastelnachmittag, sie lädt ein zum Minigolf, in die Badi, mal ins Kino oder ins Zentrum Paul Klee, wo Kinder und Erwachsene im offenen Atelier in die Welt der Kunst eintauchen. Weihnachtsmärli, Theateraufführung, Musik – Bern hat viel zu bieten. «Die Herausforderung ist vielmehr, die Altersspanne der Mädchen zu überbrücken. Amara ist sieben, Tiffany dreizehn, da sind die Interessen zuweilen schwer vereinbar», sagt Hodler.

KINDERREICHES LEBEN

Francine Hodler ist in Bern aufgewachsen und zur Schule gegangen. Sie hat Medizin studiert, wie ihr Vater, und führte während 25 Jahren eine eigene Praxis. Seit knapp einem Jahr ist sie pensioniert. Als Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie hat sie zeitlebens mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet und auch sonst gerne Kinder um sich gehabt, die ihres Bruders zum Beispiel, und ihre vier Patenkinder. Eigene Kinder hat sie nicht. «Es hat sich nie ergeben», sagt sie.

Der unerfüllte Kinderwunsch war für sie aber keine Belastung. Francine Hodler führt ein erfülltes und auch ein kinderreiches Leben. Sie ist vielseitig interessiert, vernetzt, zufrieden mit sich und ihrer neu gewonnenen Freiheit nach der Pensionierung. «Ich habe mich kürzlich bei Benevol angemeldet, der Organisation für Freiwilligenarbeit. Ich will mich in verschiedenen Bereichen einbringen.» Sie denkt über weitere Patenkinder nach, interessiert sich fürs Reisen, für Kunst und Literatur. Gerne hätte sie sich auch für das im Berner Inselspital geplante Medizinmuseum engagiert. Aus finanziellen Gründen wurde das Projekt aber sistiert. «Schade», findet Francine Hodler,

ÄLTERE GENERATION VERTRETEN

Den Weg zu Amara und Tiffany wies Francine Hodler ein Caritas-Flyer, der ihren AHV-Unterlagen beilag. Elke Bergius, die Mutter der Kinder, kommt ursprünglich aus Deutschland, der Vater aus Afrika. «Ich habe mir gewünscht, Kinder aus einem anderen Kulturkreis zu begleiten», sagt die 69-Jährige. Wünsche wie diese versucht Caritas zu berücksichtigen, wenn sie Paten und Familien zusammenführt. Das erste Treffen ist begleitet, ein Kurs für angehende Patinnen und Paten obligatorisch. Caritas steht auf Wunsch auch nach dem Treffen beratend zur Seite. Nach drei Jahren sollte die Patenschaft auf eigenen Beinen stehen. «Das ist bei uns nächstens der Fall», so Francine Hodler, die ihre Aufgabe darin sieht, etwas Stabilität in die Familie zu bringen und die ältere Generation zu vertreten. «Ich will nicht erziehen, mische mich nicht ein.» Ihr Einfluss ist subtiler, durch ihr Verhalten, ihre Lebenserfahrung gibt sie den Kindern das mit auf den Weg, was Grosseltern vorbehalten ist – eine gewisse Ruhe, Gelassenheit, Lebensfreude. Oder die Fähigkeit, den Moment zu geniessen – was Eltern im rasanten Alltag zuweilen schwerfällt, gelingt Kindern und Grosseltern meist umso besser.

«Das Verhältnis zur Mutter ist offen, die Beziehung zu den Kindern herzlich», erzählt Francine Hodler, die viel gibt und genauso viel zurückerhält, etwa wenn Tiffany sie fragt: «Wie lange bleibst du unser Grosi?» Und Francine antwortet: «Solange ihr möchtet.» Das geht zu Herzen. •


Dieser Artikel stammt aus dem Grosseltern-Magazin 02/2019