«Wir wollten einfach tschutten»
Trudy Streit ist eine Fussball-Pionierin: Sie hat 1968 das schweizweit erste Frauenteam mitgegründet, an der ersten WM gekickt und später selbst Juniorinnen trainiert. Die Freude am Sport verbindet sie auch mit ihren Enkelkindern Ryan und Carrie.
Von Eveline Rutz (Text) und Martina Meier (Fotos)

Trudy Streit steht zuweilen am Spielfeldrand, wenn ihre Enkelkinder Fussball spielen. Rollt ihr ein Ball vor die Füsse, passt sie ihn gezielt zurück. Damit fällt die vierfache Grossmutter auf. Ryan erzählt von einem Turnier vor etwa fünf Jahren: «In einer Pause tschutteten wir ein bisschen», erinnert sich der inzwischen 17-Jährige. Sein Grosi habe mit ihrem Können beeindruckt. Einige Kollegen und Eltern hätten nachgefragt, weshalb sie so gut spiele. «Da habe ich zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, dass sie eine der ersten Nationalspielerinnen war – und was das heisst.»
Trudy Streit zählt zu den ersten offiziellen Fussballerinnen der Schweiz. Zusammen mit ihrer älteren Schwester, Ursula Moser, gründete sie 1968 den landesweit ersten eigenständigen Verein für Frauenfussball, den Damenfussball Club Zürich (DFCZ). Sie kickte in der ersten Frauen-Nati und lief 1970 an der ersten WM in Italien auf. Sie kämpfte am ersten Länderspiel auf Schweizer Boden und trug auf der Breite in Schaffhausen zu einem klaren 9:0 Sieg gegen Österreich bei.
Mit ihren Kolleginnen folgte sie später einer Einladung nach Taiwan, sie dribbelte probehalber in Neapel, wechselte der Liebe wegen zum SV Seebach, trainierte später selbst Juniorinnen und engagierte sich im Schweizerischen Fussballverband (SFV). Als «Vorkämpferin» würde sich die 72-Jährige dennoch nicht bezeichnen. «Es ging uns um den Spass – und nicht darum, politisch etwas umzustürzen.» Ihr gefalle das Spielerische am Fussball. Und dass man nur als Team etwas erreichen könne.

Enkel sind mit Fussball aufgewachsen
Die Begeisterung für den Mannschaftssport hat ihr Leben geprägt – und abgefärbt. So auch auf die Familie ihres Sohnes, die in Grafstal lebt. «Die meisten meiner Kollegen spielen», sagt ihr Enkel Ryan beim Treffen an einem sonnigen Nachmittag. Er hat sich als Kindergärtler dem FC Kemptthal angeschlossen, trainiert heute drei Mal wöchentlich und misst sich sonntags regelmässig mit anderen B-Junioren. Nicht ehrgeizige Ziele, sondern das Zusammensein stünden dabei im Vordergrund, so der Lernende. «Es macht Freude, wenn wir gemeinsam kämpfen und ein Match gut läuft.» Seine Schwester Carrie hat ebenfalls einige Jahre im lokalen Verein gekickt. «Irgendwie logisch», sagt die 14-Jährige, «in dieser Familie.» Sie ist mit Fussball aufgewachsen. Ihre Eltern, Perry und Samantha Streit, waren lange selbst aktiv – auf dem Rasen und auf der Trainerbank. Perry engagiert sich nun als Vize-Präsident des FC Kemptthal. Weil dieser keine Mädchen-Teams hat, spielte Carrie mit den Buben. «Irgendwann hat mir das nicht mehr so gefallen», sagt sie. «Darum habe ich aufgehört.» Im Dorf sei das Interesse leider noch zu gering, um eigene Teams für Mädchen und Frauen zu schaffen, sagt ihr Vater. In der Nachbarsgemeinde würden solche jedoch geführt.

Carrie spielt noch ab und zu im Garten, wo zwei Tore stehen. Sie verfolgt den Sport zudem als Zuschauerin. Sie fiebert mit den Lieblingsclubs der Familie – mit dem FCZ und dem FC Bayern-München – sowie dem Frauen-Nationalteam mit. «Kürzlich waren wir an einem Event im Zürcher Letzigrund-Stadion», berichtet die Zweit-Sek-Schülerin und schaut zu ihrer Grossmutter. «Stimmt», bestätigt diese. «Das war eine Veranstaltung im Hinblick auf die EM.»
«Die Mehrheit der Bevölkerung war der Meinung, dass Fussball nichts für Frauen sei.»
Trudy Streit, die in Riva San Vitale am Luganersee und in Glattbrugg lebt, ist in diesen Tagen viel unterwegs. Sie trifft Weggefährtinnen und erzählt Journalist:innen davon, wie sich die Frauen in der Männerdomäne Schritt für Schritt einen Platz erkämpften. Das aktuelle Interesse gelte es zu nutzen, findet sie. Die Aufmerksamkeit trage dazu bei, den Frauenfussball bekannter zu machen und weiterzuentwickeln. «Davon konnten wir früher nur träumen.»
Den FCZ-Stars nachgeeifert
Die einstige Libero-Spielerin erinnert an die späten 60er- und 70er-Jahre, als einige Ärzt:innen gar davor warnten, dass die Sportart für den weiblichen Körper gesundheitsgefährdend sei. «Die Mehrheit der Bevölkerung war der Meinung, dass Fussball nichts für Frauen sei.» Sie sollten den Haushalt führen und Kinder gebären. Dass Trudy und Ursula Moser dennoch Fussballerinnen wurden, ist einem Zufall zu verdanken. Sie waren als Teenagerinnen im Leichtathletikclub Zürich aktiv, der damals gleich neben dem FCZ trainierte. So bekamen sie die Trainings der FCZ-Stars – darunter Köbi Kuhn oder Fritz Künzli – mit. Die Schwestern liessen sich inspirieren und eiferten ihren Vorbildern nach.

Mit ihrer Euphorie steckten sie nicht nur ihren Vater an, der den Aufbau des Damenteams fortan in verschiedenen Funktionen unterstützte. Sie stiessen auch beim FCZ-Vorstand auf offene Ohren, rekrutierten über ein Zeitungsinserat rund 20 Gleichgesinnte und erhielten nach längerer Suche einen Trainingsplatz. Sie nannten den Verein damals Damenfussballclub, weil «Dame» ledige und verheiratete Frauen einschloss.
Grosses Engagement ohne Lohn: «Ich habe sogar die Telefonrechnungen und die Briefmarken bezahlt.»
«Wir haben vieles selbst gemacht und organisiert», sagt Trudy Streit mit Blick auf ihr langjähriges Engagement. Sie erwähnt, wie sie und ihre Nati-Kolleginnen für die WM ausrangierte T-Shirts selbst mit einem Schweizer Kreuz ausstatten mussten. Wie sie später beim SV Seebach Juniorinnenteams aufbaute, für eine eigene Liga kämpfte und eine Zeit lang deren Sekretariat leitete. «Ohne einen Lohn zu erhalten», fügt sie an. «Ich habe sogar die Telefonrechnungen und die Briefmarken bezahlt.»
Dank dem Sport Einmaliges erlebt

Ryan und Carrie schütteln den Kopf. «Das wäre heute nicht mehr denkbar», ist man sich am Gartentisch in Grafstal einig. Ihr Grosi hat einige Fotos aus den Anfängen ihrer Karriere mitgebracht. «Schaut mal, solche Frisuren und Trikots waren damals Mode», sagt sie amüsiert. Einige Bilder dokumentieren ihren Aufenthalt in Taiwan. «Das war ein Highlight», betont Trudy Streit, «absolut einmalig». Der Fussball habe ihr viel gegeben. Durch ihn habe sie ihren Mann kennengelernt und zahlreiche langjährige Freundschaften geschlossen. «Vieles hätte ich sonst nicht erlebt.»
Dennoch: Fühlte sie sich in dem Sport zuweilen benachteiligt? «Es war eine andere Zeit», sagt sie. «Wir wollten einfach tschutten. Das mussten wir uns erkämpfen.» Der Frauenfussball habe sich kontinuierlich entwickelt. Was heutige Spielerinnen am Ball zeigten, sei beeindruckend. Schweizer und Schweizerinnen feierten in ausländischen Clubs Erfolge. Das Niveau, aber auch das ganze Drumherum sei um Welten professioneller geworden. «Es wird Zeit, dass eine breite Öffentlichkeit das wahrnimmt.»
Familie Streit wird es sich nicht entgehen lassen, wenn das Nationalteam um Lia Wälti, Ramona Bachmann und Julia Stierli (siehe Grosseltern-Magazin 01/2025) ab dem 5. Juli an der Heim-EM spielt. Sie wird gemeinsam mitfiebern – manchmal im Stadion, manchmal vor einem Bildschirm. «Fussball gehört bei uns einfach dazu», sagt Trudy Streit.