Federfrohe Aufregung

Unsere Autorin hat sich Hühner angeschafft. Über ein Abenteuer, das die Familie dank der Grossmutter erleben durfte und das ebenfalls dank der Grossmutter ein Happy End gefunden hat.

Sabine Born (Text), Mathilda Springer (Foto)

Daheim im Hühnerstall: Das Foto von Mathilda Springer hat es beim Fotowettbewerb Schnappschuss in der Kategorie «Kinder sehen die Natur» auf Platz 3 geschafft. Das Naturhistorische Museum Basel führt den Fotowettbewerb Schnappschuss jeweils im Rahmenprogramm zur Sonderausstellung Wildlife Photographer of the Year durch. nmbs.ch

Ei oder Huhn – was war zuerst? Bei uns war es ganz klar das Ei. Nicht eines, sondern 27 Eier in einem Brut­apparat. «Das wäre doch was für euch», so das Grosi. Meine Tochter und ich waren begeistert, mein Mann etwas verhaltener. Aber drei Frauen sind nun mal überzeugend und das Abenteuer Hühnerzucht konnte beginnen.

21 Tage später bewegten sich die ersten Eier, Bruchstellen wurden sichtbar, ein erstes Schnäbelchen hier, ein Köpfchen da, bis sich Küken um Küken in mühsamer Arbeit aus dem Ei schälte. Was für ein Wunder!

23 waren es insgesamt, plus 4 Enten. Letzteres war so nicht geplant, aber weil der Fuchs beim Grosi die brütende Entenmama stibitzt hatte, legten wir die Enten- kurzerhand zu den Hühnereiern. «Überlebenschance gleich null», prognostizierte das Grosi, weil die vier Eier schon ganz kalt waren.
Tja, so kann man sich täuschen und so bewohnten wenig später 23 Hühner- und 4 Entenküken das Playmobilland mitten in unserem Wohnzimmer, ergänzt mit Kisten und Zäunen, alles mit Karton und Zeitungspapier fein ausgelegt, Kükenfutter und Wasser leicht erreichbar.

Zu leicht für die Enten allerdings, die kaum geschlüpft, frisch und fröhlich ins Wasser hüpften und alles kalt und nass spritzten. Also zurück zum Grosi mit den Entchen. Denn im Gegensatz zu Hühnern, die gut ohne Mama zurechtkommen, sind Enten auf Artgenossen angewiesen.
Bei uns ging es derweil weiter mit dem Hühnerglück, die samtweichen Kleidchen wurden dichter, die Küken mutiger und frecher – gelbe, braune, schwarze, alle federleicht und zuckersüss. Sie hüpften, frassen, piepsten und kuschelten sich gerne aneinander. Insbesondere abends im katzensicheren Käfig unter dem wärmenden Lampenstrahl.

Das Gepiepse wurde leiser und leiser, bis alle irgendwann schliefen. Oder doch nicht? Das Schwarze schreckt hoch, springt in das schlafende Federknäuel und schon sind sie wieder wach. Also hocke ich mich neben die Küken, warte bis sie wegdämmern … Aber Achtung vor dem Wegschleichen. Das ganze nochmals von vorne und noch einmal … Erinnerungen an Nächte am Kinderbett werden wach …
Nun ja, aus dem schwarzen Frechdachs wurde ein stolzer Hahn mit prächtigem Gefieder in blau-grün-schwarz irisierenden Farben. Glänzend. Wunderschön. Aber aufmüpfig und mit beachtlichem Gewaltpotenzial Fremden gegenüber. Ein Kämpfer, der Haus und Hof verteidigte, für seinen Mut letztlich aber das Leben lassen musste.

Ein erster Tiefschlag, aber auch ein Lehrstück – Abschied nehmen von einem Tier, das man ins Herz geschlossen hatte. Wir mussten ja bereits früher loslassen, als die Hühnerschar gross genug war, um zum Grosi überzusiedeln. So war es vereinbart. Wobei – zwei könnten wir doch behalten? Oder? Aus zwei wurden fünf. Denn was, wenn die Hälfte davon «Güggel» sind?

Und dann hiess es Hühnerstall bauen und einen Zaun rund um Grundstück und Gemüsegarten ziehen, weil unsere Hühner frei sein sollten, Gras fressen, Mücken fangen, Sandbäder geniessen. Und trotzdem eroberten sie mit der Zeit die Nachbarsgärten, zwängten sich durch den Zaun, flogen darüber und brachten uns rundherum in Verruf.

Auch wenn die meisten Nachbar:innen mit einem Augenzwinkern darüber hinwegsahen und sich freuten über die federfrohe Aufregung im Quartier, war irgendwann fertig lustig. Denn inzwischen war klar: Unsere Schar bestand aus vier Hennen – Bianca, Makeup, Schnappi und Lulutschi – und einem Hahn: Wuselfusel. Eine herzige Familie. Und wer bringt es da übers Herz, den «Güggel» wegzugeben. Wir nicht, oder besser gesagt, noch nicht …
Ein Hahn kräht nun mal, markiert sein Revier, zuerst noch zögerlich, mit der Zeit immer kräftiger, lauter noch als ein Hochdruckreiniger oder Laubbläser. Die Frage beim Tierarzt, ob ein homöopathisches Mittelchen die Lust am Krähen vielleicht etwas dämpfen könnte, quittierte die Arztgehilfin mit lautem Lachen. Das würde sie dem Hahn in ihrem Dorf auch gerne verschreiben …

Und so war irgendwann klar: Der Hahn muss weg, zurück zum Grosi, dem Frieden zuliebe, ein weiteres Lernstück, Tränen, Wut, Frust. Auch Verzeihen will gelernt sein.

Das Gute daran, die Hühner kommen auch gut ohne Hahn zurecht. Fast täglich schenken sie uns Eier, jedes so wertvoll wie Gold, sie rennen herbei, wenn wir umstechen, jäten, säen. Sie krümeln die Erde im Garten fein, den wir im Frühling für sie öffnen. Denn seit wir Hühner haben, sind alle grusigen Nachtschnecken verschwunden. Wahrscheinlich, weil sie die Schneckeneier fressen – so unsere Theorie. Und bisweilen auch den Salat oder die frisch gesäten Bohnen …
Danke, Grosi, für dieses grossartige Projekt, für die Aufregung, die Tränen, die Freude, den Ärger und das Lächeln, das unser Hühnervolk uns jeden Tag aufs Gesicht zaubert.•