Grosseltern in Uganda

Fremde sind selten, aber willkommen: Die Ik ­leben ­zurückgezogen im Nordosten Ugandas. Unsere Autorin hat das Bergvolk besucht und Catharina Kunume und ihren Mann Mateo Achok kennengelernt, Clan­älteste und Grosseltern von 14 Enkelkindern.

Von Caroline Doka (Text und Foto)

«Die Enkel stehen unter unserem Schutz bis sie heiraten»: Catharina Kunume und Mateo Achok mit ihrer Schwiegertochter und vier Enkeln.

In den Höhen des Mount ­Morungole im Nordosten Ugandas, direkt an der Grenze zu Kenia und Südsudan, lebt das vergessene Bergvolk der Ik. Zehn Auto­stunden von Nairobi, zum Schluss eine holperige Fahrt auf ausgewaschenen Erdpisten und dann zu Fuss auf schmalen Pfaden die Hänge hinauf, so gelangt man zu diesen Menschen, die zurückgezogen auf ihrem Berg leben und unter sich bleiben wollen. Besucher sind willkommen, aber selten.

Die Nachricht unserer Ankunft verbreitet sich in Windeseile. Aus den Krals, den kleinen, mit geflochtenen Holzzäunen eingefassten Dorfgemeinschaften, an denen wir vorbeiwandern, laufen neugierig Kinder herbei und begleiten uns. Vor dem Kral, den wir besuchen, sitzen wir von Kindern umringt im Schatten eines Baumes. Durch ein niedriges Tor schlüpft behände eine alte Frau mit kahlrasiertem Kopf, T-Shirt und mädchenhaftem Faltenjupe. Die Kral-Älteste. Sie streckt uns die knochige Hand entgegen. «Marang», sagen wir, wie wir es gelernt haben, «Marang asuk» entgegnet sie, langes Händeschütteln, während die Begrüssungsworte x-mal wiederholt werden, dann zieht sie sich in den Kral zurück.

Bald darauf schlüpfen wir hinter unserem lokalen Führer durch den geflochtenen Zaun in den Kral, vorbei an runden, strohbedeckten Hütten, vor denen Frauen Essen zubereiten. Hühner und Kinder wuseln überall herum. An einem der Feuer sitzt die Alte, eine Tabakpfeife im Mund. Durch den Rauch des Feuers eine mystische Erscheinung. Ihre Enkel gesellen sich dazu, dann tritt langsam und auf einen Stock gestützt ein hagerer alter Mann hinzu. Die Augen unter der Hut­krempe wirken fast weiss. In der Hand mit dem Stock hält er auch seinen «Stul», einen kleinen hölzernen Schemel, den jeder Ik-Mann immer und überall mit sich trägt, um sich nicht auf die Erde setzen zu müssen. «Marang», «marang asuk», das Begrüssen beginnt von vorn. Er setzt sich auf seinen «Stul» neben Frau und Enkel ans Feuer, darum herum versammelt sich respektvoll die halbe männliche Dorfgemeinschaft, bekleidet mit farbigen Tüchern und Gummistiefeln, und lauscht interessiert unserem Gespräch, das unser Guide übersetzt.

Catharina Kunume ist 75, ihr Mann Mateo Achok 80 Jahre alt. Sie sind die Clan-Ältesten aller Krals am Mount Morungole. Ihr Einfluss in einer Gesellschaft, in der die Ältesten an der Spitze stehen, ist gross. «Wir haben acht Kinder und vierzehn Enkelkinder», erzählt Catharina. «Aber nur die beiden Söhne mit ihren Familien leben in unserem Kral. Die Töchter ziehen bei der Heirat in den Kral des Ehemannes, besuchen uns aber oft.» Die zwei ältesten Kinder der Söhne, die 5-jährige Nakiru und der 4-jährige Lokol, leben mit den Grosseltern in deren Hütte und schlafen mit ihnen am Feuer, die jüngeren Enkel bei den Eltern. So will es die Tradition. «Wir leben gerne bei Tata und Papa», sagt die kleine Nakiru scheu. «Die Grosseltern heben uns immer etwas Gutes zu essen auf, und Tata erzählt uns abends am Feuer Geschichten.» Geschichten von früher, als sie ein Kind war, von der grossen Hungersnot, die ihre Familie damals nur dank des Honigs ihrer Bienen überlebte.

Catharina und Mateo kamen als junges Paar mit ihrem Clan in die Berge. Einst lebten die Ik von der Viehzucht wie die Massai. Wegen Hungersnot und Vertreibung aus ihrem Jagdgebiet im fruchtbaren Kidepo-Tal zu Sesshaftigkeit gezwungen, wurde ihnen dort von anderen Stämmen das Vieh abgejagt. Sie flohen in die Berge, gaben die Viehwirtschaft auf und lebten fortan von Ackerbau und Bienenzucht. Hier oben fühlen sie sich in Sicherheit und halten darum am kargen Leben und ihren Traditionen fest. Doch woher kamen die Ik ursprünglich? «Man sagt, wir waren einfach da», meint Catharina. Und Mateo fügt an: «Laut unseren Eltern und Grosseltern stammen wir aus Äthiopien und zogen im 16. Jahrhundert auf Geheiss Gottes nach Süden.» Die Ik sprechen Teuso oder Iceto, eine nilotische Sprache, die sie behielten, während andere zugewanderte Völker die hiesigen Bantusprachen annahmen.

Mateo besuchte keine Schule, aber er hatte einen Lehrer und ein Buch. «Leider ging es auf der Flucht in die Berge verloren.» Die Bildung ist den Ik wichtig. Die Grosseltern bringen den Enkeln Rechnen und Schreiben bei, noch bevor die Kinder in die Schule gehen. Obwohl die Ik keine Durchmischung mit der modernen Zivilisation wollen, gibt es am Fuss des Morungole-Massivs eine Schule für Ik-Kinder, die auch Nakiru und Lokol jeden Tag besuchen.

Was ist den Grosseltern in Bezug auf die Enkel wichtig? «Mit ihnen zusammen zu sein», sagt Catharina. Sie zieht an der Pfeife und fügt an: «Wir kümmern uns um sie, bringen ihnen Benehmen bei, gehen mit ihnen zum Arzt und ins Krankenhaus und helfen bei der Erziehung. Sie stehen unter unserem Schutz, bis sie heiraten.»

Der Grossvater bringt den Enkeln bei, wie man Foodbaskets herstellt, diese schönen, geflochtenen grossen Körbe aus Ruten und Lehm, in denen Mais, Korn und Honig verwahrt wird wie in einem Tresor. Nach der Hochzeit ist diese Kornkammer Frauensache und für die Männer tabu. «Der Inhalt ist geheim, nur die Frauen wissen, wie viel Vorrat da ist, den sie verwalten, und wie gross demnach das Vermögen ist.» Die Grossmütter lehren die Enkelinnen im Hinblick auf einen eigenen Haushalt zu fermentieren, Bier zu brauen und Lehmtöpfe herzustellen. Zur Hochzeit übergeben die Grossmütter den Enkelinnen symbolisch einen geschnitzten Kochlöffel.
Aber auch die Enkel haben ihre Aufgaben. Nach der Schule holen Nakiru und Lokol für Eltern und Grosseltern Wasser und machen Feuer. Bei der Hochzeit übergeben die Mädchen einen Teil des Honigs, den sie als Brautgeld erhalten, den Grosseltern. Wie die Grosseltern bis zu deren Hochzeit für die Enkel sorgten, sorgen dereinst die erwachsenen Enkel für ihre Grosseltern, wenn diese sich nicht mehr selber versorgen können.
Der Umgang der Enkel und Grosseltern miteinander ist ein besonderer, sie sorgen füreinander, jeder zu seiner Zeit. Die ­Alten werden wertgeschätzt, und als Älteste im Clan geniessen Catharina und Mateo grosses Ansehen. Oft kommen Clanmitglieder aus anderen Krals und fragen sie um Rat. Ihre Enkel geniessen einen besonderen Status. Sie werden von anderen Kindern respektvoll behandelt, weil sie aus der Familie der Clan-Ältesten stammen.
Die Sonne ist untergegangen, es wird kühl. Bei uns würde man sich eine ­Jacke holen. Bei den Iks sagt die ­Grossmutter: «Mir ist kühl. Ich gehe in die ­Hütte, ans Feuer.» Steht auf, verzieht sich in ihre Behausung, die Enkel folgen ihr. Bald liegen sie eng aneinander im Dunkel der Hütte am Feuer, und Tata erzählt Geschichten. Geschichten aus ihrem Leben. •


UGANDA
Einwohner 42,7 Mio.
Hauptstadt Kampala
Fläche 241 040 km²
Währung Uganda-Schilling
Staatsform Republik
Sprachen Swahili
und Englisch

Klima Die Niederschläge waren früher auf das ganze Jahr verteilt, es gab nur zwei trockenere Perioden. Heute gibt es gerade im Norden jedoch Regionen, in denen es jahrelang nicht regnet. Temperaturen schwanken zwischen 25 und 30 °C tagsüber, nachts um 17 °C.
Bevölkerung Es leben über 60 Völker in Uganda, die eigene Sprachen, Kulturen und Bräuche, teilweise auch eigene Religionen haben. 60 Prozent der Bevölkerung sind Bantu, die in den Gebieten südlich und westlich des Kiogasees leben. Die Ik sind mit 0,02 Prozent der Gesamtbevölkerung eine sehr kleine Minderheit.

Sprache der IK Icetot, auch Ik, Icietot, Teuso, Teuth oder Ngulak genannt.

Über die IK In Uganda leben 5800 Ik und in Kenia 1200.
Ursprünglich ein Jäger- und Sammlervolk, sind die Ik nach der Vertreibung aus ihrem Jagdgebiet im Kidepo-Tal zu Sesshaftigkeit und Landbau genötigt worden.

Lage Die Ik leben auf dem Mount ­Morungole im Distrikt Kotido, der zu den ärmsten von Uganda gehört. Am Fuss des Morungole liegt der Kidepo-Valley-Nationalpark, aus dem die Ik vertrieben wurden. ~CAP

«Marang» – Guten Tag: Catharina Kunume strich sich nach der Begrüssung mit der Hand über den Kopf und ­sagte: «Wie ­ungünstig, ich habe mir gerade die Haare abrasiert».