Comics ? Ja, bitte !

Frech, einfallsreich, bunt – und immer wieder nahe am Alltag: ein Plädoyer für moderne Kindercomics.

Hans Ten Doornkaat (Text)

Das Angebot an Comics für Kinder ist in den letzten Jahren gewachsen – quantitativ und qualitativ. Doch bis heute sind viele Erwachsene überzeugt, «Sprechblasengeschichten» seien der Feind guter Bücher. Dabei kann man Lektüregewohnheiten mit Comics ebenso gut fördern. Diese Ansicht vertreten heute auch Leseforschung und Lernpsychologie. Statt zu fragen, was gegen Comics spricht, sollte man also sagen, was sie bieten. Zuerst einmal: nichts gegen die etablierten Reihen Asterix, Tim und Struppi oder Lucky Luke. Auch der Vorrang der Micky-Taschenbücher sei erkannt. Aber ich möchte lieber hinschauen, was sich neu entwickelt und fantastische Welten aufstöbern, die nicht von simplem Heldentum erstickt werden. Kindercomics als Erzählkunst sind so interessant und vielfältig wie andere Literaturgattungen. Stile beschreiben und Feinheiten erläutern braucht Platz. Ich verzichte auf ausführliche Interpretationen, weil sich jede und jeder selbst ein Bild machen kann. Gehen Sie mit dem Titelstichwort meiner Tipps direkt auf die Webseiten der benannten Verlage (nicht der Buchhandlungen), wo Sie zu jedem Buch informative Leseproben finden.

Klett-Kinderbuch bietet zwischen Bilderbüchern und Kinderromanen sechs erfolgreiche Bände an, die von Miras Alltag erzählen; feinfühlig, alltagsnah und mit einem Witz, der auch gekonnt Distanz schafft. Kurzum: Mädchengeschichten, sympathisch und auf höchstem Niveau!
klett-kinderbuch.de

Wer die Magie der Mumin-Bücher liebt, wird auch fasziniert sein, wie Luke Pearson die kleine Hilda und ihre Mutter in einer realistischen Welt zeigt, die aber von Trollen, Riesen und anderen Überraschungen durchsetzt ist. Es erstaunt nicht, dass die Abenteuer des kleinen Mädchens beliebt sind. Beim Verlag Reprodukt finden Sie in der Abteilung «Kindercomics» zudem viele altersgemässe Stories unterschiedlicher Machart. Speziell verweisen möchte ich auf die Abenteuer von
Julius, die an Tim und Struppi erinnern, und auf Akissi, ein ungestümes Mädchen, das mit allem kämpft, was der Alltag an der Elfenbeinküste umfasst; gewitzt und temporeich.
reprodukt.com

Auch Avant, ein anderer qualitätsvoller Comic-Verlag, hat das Segment «Kinder & Jugend» ausgebaut; grossartig etwa «Der Umfall»(sic), das Porträt eines Knaben mit Beeinträchtigung aus dessen Perspektive und mit Momentaufnahmen, deren Malstil auch atmosphärisch eindrücklich ist.
avant-verlag.de

Das Highlight unter den jungen
Verlagen ist Kibitz, der moderne Kinderliteratur in Comicform publiziert: «Trip mit Tropf» erzählt von einem Wolf, dem ein Kaninchen das Leben rettete und dessen Krankheit er jetzt mitträgt. Erzfrech, empathisch und mit klamaukigen Szenen zum Nachdenken über Leid und Verzweiflung. Oder in «Boris, Babette und lauter Skelette» erweist sich die Geschichte um das Haustier, das Boris versteckt, als schräge, aber auch feinfühlige Form, von Fragen der Zugehörigkeit und Selbstfindung zu erzählen. Und wenn Sie auf der Kibitz-Webseite sind, achten Sie auf den Autor und Zeichner Patrick Wirbeleit, der in unterschiedlichsten Teams eine faszinierende Bandbreite vorlegt.
kibitz-verlag.de

Wenn ich aktuelle Jugendliteratur zum Thema Flüchtende und Asylgründe analysiere, drängen sich auch Graphic Novels auf, also Romane in Comicform, umfangreicher und anspruchsvoller als populäre Alben. «9603 Kilometer» benennt die Distanz von Afghanistan nach Calais und erzählt von zwei Kindern auf diesem Weg. Der Text basiert auf Interviews, die der Autor mit jungen Migranten führte. 128 gezeichnete Seiten, eindrücklich nahe an Tatsachen. Im Verlag CrossCult zwischen vielen Graphic Novels im Mangastil.
cross-cult.de

Was bedeutet es, «der Neue» zu sein in einer Klasse? Dieses Dauerthema der Jugendliteratur behandelt auch «New Kid»; sensibel und mit viel Situationskomik. Erschienen im Kinderbuchverlag Loewe, der sein Comicsegment (mit wenig Mut zu neuen Stilen) ausbaut.
loewe-verlag.de

Das Kindercomic-Magazin POLLE spiegelt die heutige Situation hervorragend. Seit 2018 ist es Plattform für Top-Illustrierende und Newcomer. Das Angebot erscheint zweimal jährlich. Eine Publikation, die mutig einsteht für ein werbefreies, vielfältiges Angebot. Die beste Heldentat, um Kindern die Vielfalt der Neunten Kunst schmackhaft zu machen.
pe-ri-dot.com

Die ausführlichen Leseproben auf den Verlagswebseiten sind auch notwendig, weil nur wenige Buchhandlungen die Sparte Kindercomics pflegen. Empfohlene Handelsadressen für die Schweiz finden Sie auf comics-kaufen.de.
Fast 100 Besprechungen, auch mit Empfehlungen fürs Jugendalter, bietet die Rezensionsdatenbank
sikjm.ch; Einstieg über den Gattungsbegriff «Comic».