Fortnite / «Spielen Sie auch einmal selber mit»

  

Medienpädagoge Steve Bass sagt, was er vom Computerspiel Fortnite hält und wie sich Grosseltern gegenüber der Leidenschaft ihrer Enkel verhalten können.

Von MELANIE BÄR (Interview) und EPIC GAMES (Bilder)

Herr Bass, Sie sind Medienpädagoge an der Primarschule Regensdorf; spielen die Schüler dort Fortnite?

Steve Bass: Ja, ich merke es daran, dass ich viele Fragen von Lehrpersonen erhalte, deren Schüler in den Abschlussklassen Projekte darüber machen wollen. Sie wollen wissen, wie ich das Spiel einschätze.

Was antworten Sie ihnen?

Gemäss unabhängiger Altersempfehlung (USK) ist es für Kinder ab 12 Jahren geeignet. Die Zielgruppe sind 10- bis 16-Jährige. Deshalb muss man keine Angst vor brutalen Szenen haben. Diese Altersempfehlung kann auch für Eltern und Grosseltern ein Massstab sein, auch wenn es nur eine Empfehlung ist und das Spiel auch von Jüngeren gespielt wird.

Keine brutalen Szenen … geht es im Spiel nicht darum, andere zu erschiessen?

Doch, das Ziel des Spiels ist, auf einer Insel zu überleben, indem man gegen die anderen 100 Spieler spielt und Gegner tötet. Doch die Figuren und Gewaltszenen werden in comicartigem Stil dargestellt. Man sieht nie detailliert, wie die anderen sterben. Es sind zudem viele witzige Comicelemente eingebaut, beispielsweise das Abspringen aus einem fliegenden Schulbus und die Verkleidungen. Das Spiel wirkt farbig und trickfilmmässig. So wird das Überlebensszenario immer wieder selbstironisch durchbrochen.

Aber es sind dennoch Kriegsszenen.

Das waren auch die Spiele, die wir in unserer Kindheit gespielt haben. Sie enthielten meist auch Kampfsequenzen und Kriegselemente. Denken wir an «Räuber und Poli» oder sogar Schach …

Also stufen Sie das Spiel als bedenkenlos ein?

Das müssen Eltern, Grosseltern und Lehrpersonen für sich selber entscheiden. Ich empfehle einfach, den Wunsch des Kindes ernst zu nehmen, sich dafür zu interessieren und sich das Spiel unbedingt selber anzuschauen. Auf «Youtube» gibt es zu jedem Game diverse Spielvideos, die man sich anschauen kann. Wenn man danach nicht will, dass es das Kind spielt, findet man vielleicht eine Alternative. Die wäre bei Fortnite beispielsweise Minecraft, das gemäss USK ab 6 Jahren gespielt werden kann.

Warum ist Fortnite bei Teenagern so beliebt?

Einerseits ist das Spiel kostenlos und andererseits baut es auf dem Spiel «Playerunknown’s Battlegrounds» auf, das auch schon sehr beliebt war. Der lustige, comicartige Stil und die gute Grafik sprechen die Jungen an. Auch dass im Team gekämpft werden kann, ist clever gemacht. Man kann zum Beispiel als Familie spielen. Zudem ist es einfach im Einstieg und hat nicht wahnsinnig viele Tastenkombinationen. Und gerade für die Jungen ist ein grosser Vorteil, dass man es auf verschiedenen Plattformen spielen kann, also auch unterwegs auf dem Smartphone.

Wird es auch von Mädchen gespielt oder spielen es vor allem die Jungs?

Es ist nicht so, dass Mädchen keine Überlebens- und Schiessspiele machen. Aber bei dieser Art von Spielen sind die Jungs klar in der Mehrheit. Nicht jedoch, was die Spielfiguren betrifft: Es gibt ebenso viele Frauenfiguren, die man spielen kann, wie Männerfiguren.

Bevor das Spiel beginnt, tanzen die Figuren in Fortnite. Diese Tänze wurden zum Kult. Wieso?

Die Idee, dass Figuren tanzen, ist nicht neu. Aber die Idee der Programmierer, sie tanzen zu lassen, bevor es losgeht, ist sehr witzig. Und es sind Tänze aus verschiedenen Jahrzehnten und Kulturen.
Einer stammt aus einer Serie der 80er-Jahre, einer aus den 20er-Jahren. Es ist ein Phänomen, wie sich dieser Trend entwickelt. Ich glaube nicht, dass man das planen kann: der richtige Ort, zum richtigen Zeitpunkt, durch die richtigen Leute verbreitet.

Manche Eltern und Grosseltern finden Gamen sinnlos und machen sich Sorgen, wenn ihr (Gross-)Kind viel Zeit damit verbringt. Ist das berechtigt?

Wenn ein Kind stundenlang Lego spielt, musiziert, liest oder Sport macht, stört es meistens niemanden, dass sich das Kind sehr intensiv und lange damit beschäftigt. Anders, wenn ein Kind stundenlang gamt. Doch grundsätzlich ist es nichts anderes: Es beschäftigt sich intensiv mit etwas. Deshalb finde ich Kritik erst berechtigt, wenn das Kind wegen des Gamens keine sozialen Kontakte mehr pflegt, sich nicht mehr mit Freunden trifft, Pflichten nicht erledigt oder sich keine Zeit mehr fürs Schlafen, Essen und die Körperpflege nimmt. Wenn es das aber alles macht, dann finde ich es akzeptabel, wenn es bei einem neuen Spiel auch mal zwei, drei Wochen intensiv gamt.

Was bedeutet für Sie intensiv?

Wenn es an einem Regentag mal drei, vier Stunden am Stück am Computer oder der Spielkonsole sitzt, wird es deswegen nicht krank, sofern ihm die Inhalte nicht Angst machen oder un-
angenehm sind. Als Faustregel gilt:
10 bis 20 Minuten Medienkonsum pro Tag und Schuljahr. Bei 6.-Klässlern kann es also ein bis zwei Stunden pro Tag sein. Allerdings ist diese Faustregel mit Vorsicht zu geniessen und bezieht sich auf die gesamte Medienzeit, also auch aufs Fernsehen. Die Medienzeit soll aber nicht unlimitiert sein. Kinder sollen wie beim Geld lernen, einzuteilen und damit umzugehen. Manchmal müssen sie sogar noch nach der obligatorischen Schulzeit begleitet werden.

Wie können Grosseltern, die selber ohne Computer, Smartphone und all das Technische aufwuchsen, Verständnis für das Hobby ihrer Enkel aufbauen?

Sie können ihre Chance nutzen, die sie als Grosseltern haben und sich das Hobby von ihren Enkeln zeigen lassen. Wenn sie sich für die Welt der Grosskinder interessieren, dann interessieren sich die Grosskinder meistens auch für ihre Welt. Sie können sich vom Jugendlichen Fortnite zeigen lassen und dem Jugendlichen das Schachspielen erklären. Wenn man echtes Interesse zeigt, wird man meist auch ernst genommen und bekommt Vertrauen.

Dürfen Grosseltern auch sagen, wenn sie ein Spiel nicht gut finden?

Grosseltern dürfen Fragezeichen haben oder sich wundern, was die neue Generation gerade macht. Genauso ging es auch deren Grosseltern, als sie die skandalösen Rolling Stones hörten, Jeans trugen und Rock ’n’ Roll tanzten. Und sie dürfen auch sagen, dass es ihnen nicht so wohl ist, solche Szenen zu spielen.

Was sollen Grosseltern hingegen auf keinen Fall tun?

Es ist schade, wenn sie das eine dem anderen Gegenüberstellen und ihre eigene Kindheit und Jugend als einzigen Massstab sehen. Das baut Fronten auf. Besser ist, einen Kompromiss vorzuschlagen: Ich spiele mit dir am Computer, du backst danach ein Brot mit mir.

Das tönt gut, aber Jugendliche wollen manchmal einfach in Ruhe gelassen werden …

Das muss man akzeptieren. Aber es gibt immer wieder Momente, in denen sie offen sind. Während einer Autofahrt bieten sich oftmals Möglichkeiten für gute Gespräche. Aber man kann diese Zeiten nicht erzwingen.

Was ist Ihre persönliche Einschätzung: Ist Fortnite nur ein Hype, der bald wieder verschwindet?

Ich denke ein, zwei Jahre hält die Beliebtheit noch an und dann wird etwas Neues kommen. Irgendwann wird man mit virtuellen Brillen und Handschuhen spielen. Die Digitalisierung wird künftig noch viel mehr zunehmen. Deshalb wird die mediale Bildung die Schulen und die mediale Erziehung die Eltern künftig noch stärker herausfordern.

Was ist Ihr wichtigster Tipp für Eltern und Grosseltern?

Bevor Eltern und Grosseltern das Tun ihrer Kinder beurteilen, sollen sie echtes Interesse daran zeigen: Setzen Sie sich neben das Kind, lassen Sie sich das Spiel und die Faszination erklären und spielen Sie auch einmal selber mit. Wenn jemand noch nie gegamt hat, kann er auch nicht beurteilen, wie es ist und was es auslöst. 

STEVE BASS (52) ist ausgebildeter Lehrer und Medienpädagoge. Er arbeitet an der Primarschule in Regensdorf, ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Dielsdorf.
SPIELEN Diese Skin namens Omega bekommt man erst, wenn man bei der hundertsten Stufe des Battle Passes angelangt ist. Ein Battle Pass kostet 10 Franken und kann während den paar Monaten, in denen er aktiv ist, durch fleissiges Spielen aufgestuft werden. Für jede Stufe, die man erreicht, bekommt man eine Belohnung. Damit man die hundertste Stufe erreicht und den Omega bekommt, muss man 75 bis 150 Stunden spielen.
GRATIS Zu Beginn spielen alle mit diesen Standard-Skins. Fortnite ist aber kein Pay-to-win-Spiel, das heisst, Skins, Werkzeuge und Waffen, die man mit In-Game-Käufen tätigt, machen einen nicht stärker oder besser. Aber man sieht besser aus. Übrigens bezahlt man in V-Bucks, die die Spielenden dann in Euro oder Franken umrechnen müssen.
VIELFALT Es gibt Skins für jeden Geschmack. Diese hier heisst Kuschelbeauftragte. Täglich wechselt das Sortiment der zu kaufenden Skins. Trotz ihres niedlichen Namens hat aber auch die Kuschelbeauftragte nur ein Ziel: möglichst viele andere zu töten.
SKIN (englisch für Haut) nennt man die Figuren, in die man als Spieler schlüpft. Zu Beginn spielen alle in der Standard-Skin, die gratis ist. Für alle anderen Skins muss man bezahlen, zum Beispiel für den sehr beliebten Schlachthund hier.
TÄNZE Alle Figuren in Fortnite tanzen. Die von den Programmierern eingebauten Tänze stammen aus verschiedenen Jahrzehnten und Kulturen. Auch der «Dab» kommt vor – wie hier zu sehen ist.

Aus dem Grosseltern-Magazin 09/2018