Mühe mit der Schwiegertochter

Eine Grossmutter (74) fragt – unsere Psychologin Dagmar Schifferle gibt Antwort:


Wir haben eine wunderbare 6-jährige Enkelin, um die wir uns seit der Geburt kümmern. Wir dürfen sie hüten, das ist unser Glück. Aber wir haben Schwierigkeiten mit ihrer Mutter. Unsere Schwiegertochter ist in der DDR aufgewachsen. Wir haben das Gefühl, dass sie dadurch anders sozialisiert ist als wir. Zum Beispiel schenken wir unserer Enkelin gern mal schöne Kleider. Diese werden dem Kind von ihrer Mutter nicht angezogen, ja eventuell gar (vom Kind!) zurückgebracht. Die Mutter zieht die Kleine in Grau, Braun oder Schwarz an. Die Familie darf unsere Ferienwohnung benutzen – was für uns selbstverständlich ist –, aber wir erhalten kaum oder nie einen Dank von der Schwiegertochter. Werte wie Respekt oder Wertschätzung, Empathie scheint sie nicht zu kennen. Wenn die Kleine bei uns ist, basteln oder malen wir. Ausserdem liebt sie Kasperlitheater und wir spielen intensiv Rollen, alles, um die Fernsehwelt von zu Hause vergessen zu lassen! Ich sage ihr immer, zu Hause soll sie machen, wie ihr Mami es will, doch ich fürchte, dass das Kind zwischen zwei Welten steht. Letztes Jahr wollte meine Schwiegertochter, die sich selbst eine Heidin nennt, Weihnachten bei sich feiern. Um das gemeinsam erworbene Haus vorzuführen, was ich verstehe. So haben wir nach 44 Jahren unsere Traditionen vergessen müssen, dem Familienzusammenhalt zuliebe. Eine kürzliche Aussprache mit den beiden Eltern fruchtete nichts. Wie können wir mit ihr umgehen?

Als ich über Ihre Situation las, empfand ich sogleich Bewunderung dafür, wie sehr Sie sich bemühen, den familiären Frieden zu retten und vieles zu tolerieren, obwohl es Ihnen schwerfällt. Sie beginnen Ihre Ausführungen damit, dass Ihre Schwiegertochter die ersten fünf Jahre in der DDR aufgewachsen ist und dann noch bis sechzehn in einem ostdeutschen Bundesland geblieben ist. Weil Sie das als Erstes erwähnen, denke ich, dass Sie diesem Umstand grosse Bedeutung beimessen. Die kulturellen Unterschiede zwischen Ost und West spielen tatsächlich in Deutschland bis heute eine grosse Rolle und sind hinsichtlich der Schweiz noch ausgeprägter.
Ich kann nur vermuten, weshalb sich Ihre Schwiegertochter so verhält, wie Sie es schildern. Meine Gedanken gehen in die Richtung, dass sie sich einerseits unterlegen fühlt, es sich jedoch nicht eingestehen kann und dieses Gefühl in Form einer verdeckten Aggression gegen Sie auslebt. Andererseits will sie an den Traditionen festhalten, die den Menschen in der DDR nach dem Fall der Mauer entrissen und als wertlos hingestellt wurden. Dieses Festhalten kommt bei Ihrer Schwiegertochter auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck, wie etwa mit den Kleidern für das Kind oder dem religionslosen Feiern von Weihnachten. Gleichzeitig will sie aber auch der Verwandtschaft zeigen, dass sie es «zu etwas gebracht» hat.
Ich glaube nicht, dass Sie die Sozialisationsfolgen Ihrer Schwiegertochter beseitigen können. Um jedoch weitere Verletzungen und Enttäuschungen abzumildern, halte ich es für wichtig, deren Verhalten nicht ausschliesslich als individuelles Problem zu sehen. Ausserdem könnte es helfen, Dinge, die Sie bisher nur widerwillig zuliessen, wie zum Beispiel die Benutzung des Ferienhauses, zu überdenken. Sie sagen von sich selbst, dass Sie friedliebend sind. Manchmal ist es jedoch durchaus angebracht, einem anderen Menschen gegenüber Grenzen aufzuzeigen.
Und noch etwas: Solange die Erwachsenen nicht versuchen, das Kind auf ihre Seite zu ziehen, kommt es sehr gut damit klar, in zwei unterschiedlichen Welten zu leben. •


Dagmar Schifferli (67) ist Psychologin und Dozentin für Gerontologie und Sozialpädagogik, veröffentlicht zudem Romane und Erzählungen. Sie hat eine Tochter und drei Enkelkinder. dagmarschifferli.ch

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