50 Jahre Frauenstimmrecht: Fabienne Amlinger, Historikerin und Geschlechterforscherin, im Interview.

« Die Aktivistinnen waren nicht zu vergleichen mit den Suffragetten». Fabienne Amlinger vom Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern blick zurück und sagt, welche Folgen die Abstimmung bis heute hat.

Von KARIN DEHMER (Interview)

Die ersten 12 Nationalrätinnen stehend von links Elisabeth Blunschy-Steiner, Hedi Lang, Hanny Thalmann, Helen Meyer, Lilian Uchtenhagen, Josi Meier, Hanna Sahlfeld, sitzend Tilo Frey, Gabrielle Nanchen, Liselotte Spreng, Martha Ribi und Nelly Wicky im Bundeshaus, 29.06.1972

Fabienne Amlinger, fassen Sie uns kurz die Hauptgründe zusammen, weshalb es in der Schweiz so lange dauerte bis zur Einführung des Frauenstimmrechts?
Kurz ist schwierig. Die einfachste Erklärung ist ja immer der Hinweis auf den Umweg über die direkte Demokratie. Die männlichen Stimmberechtigten mussten an der Urne Ja sagen, während das in anderen Ländern vom Parlament entschieden wurde. Gerade in umliegenden europäischen Ländern kam es nach den beiden Weltkriegen vielerorts zur Einführung des Frauenwahlrechts, nach dem Schrecken von teilweise totalitären Systemen im Versuch einer Demokratisierung.

Wie stand unsere Landesregierung zur Stimmrechtseinführung?
Das war ein weiteres Problem: Unser Parlament und der Bundesrat waren mit ihrer Haltung ebenfalls mitverantwortlich für die Verzögerung. Sie waren nicht sonderlich erpicht darauf, das Frauenstimmrecht einzuführen, sie hielten es für unnötig.

Und die Frauen? Haben sie zu wenig gekämpft?
Sich fürs Frauenstimmrecht einzusetzen, benötigte in der Schweiz oft schon Mut. Die Aktivistinnen waren nicht zu vergleichen mit beispielsweise den radikaleren englischen Suffragetten. Sie waren eher staatskonform und hielten sich mit Aufwieglereien oder gar Scharmützeln zurück. Das generierte wiederum auch keine zusätzliche Aufmerksamkeit. Zudem waren sie anzahlmässig wenige. Auf dem Höhepunkt der Mobilisierung sprechen wir von schweizweit gut 3000 Frauen. Neben den verschiedenen Landessprachen, die für den gemeinsamen Kampf eine Herausforderung darstellten, spielten da auch die unterschiedlichen kantonalen Ausgangslagen hinein: In einigen Kantonen hatten die Frauen auf Kantonsebene bereits das Stimm- und Wahlrecht und konnten sich auf die nationale Ebene konzentrieren, während andere noch für ihr kantonales Stimm- und Wahlrecht zu kämpfen hatten.

Wie fielen bei der Abstimmung die Unterschiede Romandie/Deutschschweiz und Stadt/Land aus?
Es gab ganz klar einen Röstigraben. Die französischsprachigen Kantone hatten das Stimmrecht auf kantonaler Ebene bereits und haben es auf nationaler Ebene entsprechend angenommen. Je mehr man gegen Osten blickte, desto weniger Ja-Anteil gab es. Städtische Gebiete waren gegenüber dem Frauenstimmrecht offener als ländliche.

Hat man in den Folgejahren aufgrund der Frauenbeteiligung eine spürbare Veränderung bei den Wahl- und Stimmresultaten erlebt?
Das ist genau das, was die Gegner in beiden Lagern jahrelang befürchteten: ein politisches Erdbeben nach dem Stimmrecht für die Frauen. Die linken Gegner befürchteten, dass die Frauen konservativ wählen würden, und die Rechten hatten Angst vor linken Entscheiden. In Tat und Wahrheit gab es keine grossen Verschiebungen. Rückblickend gibt es nur etwas mehr als zehn eidgenössische Abstimmungen, die aufgrund von Frauenstimmen an- oder abgelehnt worden sind.

Können Sie sagen, welche?
Es waren vor allem gleichstellungs-, gesellschafts- und sozialpolitische Themen. So unterstützte beispielsweise eine Frauenmehrheit die Vorlage zur Rassismusstrafnorm und verhinderte den Kauf der Gripen-Kampfjets. Aber neben den Abstimmungen und Wahlen haben Frauen auch neue Themen auf die politische Agenda gebracht: Schwangerschaftsabbruch, Mutterschaftsversicherung – ein altes Thema, das nach Annahme des Frauenstimmrechts wieder aufgenommen wurde – oder auch die Revision des Eherechts.

Wie sieht es mit den Frauengenerationen nach 1971 aus? Machen sie vom erkämpften Recht genug Gebrauch?
Es gibt Frauen, die haben seit 1971 keine einzige Abstimmung verpasst. Andere gehen selten an die Urne. Interessanter finde ich die Zahlen zum Frauenanteil in politischen Gremien. Und da zeigt sich, dass sich dieser in den letzten 50 Jahren nur langsam steigerte und bis heute in vielen Gremien keine Geschlechtergleichstellung erreicht ist.

Was weiss man über Sexismus-Erfahrungen der ersten Politikerinnen?
Ich habe mit frühen und aktuellen Politikerinnen Interviews geführt. Sie haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht und diese auch unterschiedlich wahrgenommen. Einige fühlten sich nie diskriminiert aufgrund ihres Geschlechts, andere finden, «ja, es hat Vorfälle gegeben, aber das war halt damals so». Vielen fehlte früher aber auch einfach die Sprache, um die Erlebnisse einzuordnen. Christiane Brunner sagt zum Beispiel, sie hätte erst jetzt, durch die MeToo-Debatte, die Sprache gefunden, um die Schlammschlacht einzuordnen, die rund um ihre Bundesratskandidatur stattgefunden hatte. •


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